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Blind gehört Julian Steckel

„Wie eine Schüssel Quark – aber kein Magerquark!“

Der Cellist Julian Steckel hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonJakob Buhre,

Unverkennbar, dass Julian Steckel neben seiner Solokarriere auch Hochschullehrer ist. Nicht an seinem locker entspannten Auftreten, sondern an seiner Kenntnis von Spielarten und Interpreten und der Fähigkeit, diese präzise zu beschreiben. Mehrmals gibt der Cellist bei unserem Treffen zu verstehen, dass er den vorgespielten Interpreten bereits erkannt hat – „ich sage es aber noch nicht“. Steckel will erst weiteren Takten lauschen, um anschließend noch präziser analysieren zu können. 

 

The Romantic Cello Concerto 2

Alban Gerhardt (Violoncello), Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Hannu Lintu (Leitung) 2006,hyperion

Daraus: Schumann: Cellokonzert op. 129, 1. Satz

Ein angenehm flüssiges Tempo, das ist schon mal gut beim Schumann-Konzert. Das Arpeggio gleich zu Beginn ist sehr gefürchtet, da steht ein großer Bogen drüber, was die Sache um einiges schwerer macht. Derjenige hat es geteilt, dadurch klingt es viel virtuoser. Wobei das Schumann-Konzert eigentlich das Anti-Virtuosenstück ist: Es ist wahnsinnig schwer, aber der Zuhörer kriegt diese Schwierigkeit kaum mit. Ein Old-School-Celloton, es ist sehr genau gespielt, kernig, sauber, bis auf die letzte Achtel im Takt alles ausvibriert. Vom Tempo her ein klassischer Ansatz, aber mir persönlich ist es zu unfrei. Es klingt sehr geradeaus, man könnte fast ein Metronom dazu laufen lassen. Ich würde auf amerikanische Schule tippen. Alban? Echt? Ich mag ihn persönlich sehr. Es ist schön gespielt, aber vom Ausdruck her ist es mir nicht extrem genug. Gerade bei Schumann finde ich die Gegensätze wichtig. Und dieses Girlandeske, da hätte er wirklich Zeit zu sprechen und zu singen.

Cellokonzerte

Johannes Moser (Violoncello), Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, Christoph Poppen (Leitung). 2011, hänssler Classic 

Daraus Martinů: Cellokonzert Nr. 1

Es ist saftig gespielt, schöne Glissandi, sehr gepflegt. Ich dachte zuerst, das ist ein Schüler von Heinrich Schiff, bin mir aber nicht sicher. Hat bei Geringas gelernt, sagen Sie? Dann ist es Johannes. Stimmt, das passt. Ich finde es super gespielt, da lässt sich nicht viel dran kritisieren. Ich würde es mir vielleicht noch mit mehr Schmackes wünschen, ich würde noch ein bisschen mehr fetzen. Die Stelle hier ist schwierig, vom Rhythmus her, und die Terzen. Das sind komische Akkorde, aber sie stimmen leider. Das Publikum denkt wahrscheinlich, dass sich der Cellist an der Stelle völlig vergreift – aber das steht so in den Noten.

Schumann: Cellokonzert

Yo-Yo Ma (Violoncello), Emanuel Ax (Klavier)

1988, CBS  

Daraus: Fantasiestücke op. 73

Das ist offensichtlich jemand, der viel Kammermusik macht, das ist sehr fein gespielt. Wenn man hier als Interpret anfangen würde loszuknödeln, ist das Stück schon in der ersten halben Sekunde zerstört. Ich kann mich nicht mit allem anfreunden, aber sehr schön finde ich die zarten Sachen, das ist vibratomäßig nicht überklebt, sehr schlicht gespielt. Man könnte denken, es ist Isserlis, doch das hier klingt nach Stahlsaiten, Müller-Schott vielleicht, aber der würde es anders spielen. Hier im zweiten Fantasiestück fängt es an, dass mir etwas fehlt, weil der Ton genau der gleiche ist, das ist mir etwas zu pauschal. Können wir noch etwas anderes von dem Interpreten hören?

Classic Yo-Yo

Yo-Yo Ma (Violoncello), Itzhak Perlman, (Violine), Boston Symphony Orchestra, Seiji Ozawa (Leitung). 2001, Sony

Daraus Dvořák: Slawischer Tanz op. 72 Nr. 2 

Aha. Das könnte von der Intonation her Yo-Yo Ma sein. Man erkennt das, weil er manche Halbtöne sehr eng nimmt, hier, das Ais schiebt er ganz dicht an das H heran, das sorgt für eine besondere Spannung. Sein Ton hat etwas Nasales, so ein scharfer, brillanter Ton, der auch etwas Stählernes hat.

Saint-Saëns: Suite und Romanze

Maximilian Hornung (Violoncello), Bamberger Symphoniker, Sebastian Tewinkel (Leitung)

2012, Sony Classical

Daraus: Romanze op. 36 

Das gefällt mir. Und ich glaube, ich weiß, wer das ist. Das ist mit Vollblut das Cellospiel genossen, saftig, sehnig, sehr vibratös, üppig, wie eine große Schüssel Quark – aber kein Magerquark! Das ist Max Hornung, oder? Wir kennen uns schon seit Teenagerzeiten, wir haben viele gemeinsame Freunde und gleiche Kammermusikpartner, ich weiß auch, wie sein Instrument klingt. Er hat ein wunderschönes Cello von David Tecchler, wenn wir uns treffen, tauschen wir gerne mal. Nein, nicht fürs Konzert, aber wenn ich ihn sehe, muss ich wenigstens fünf Minuten mal drauf spielen.

Brahms: Cellosonaten Nr. 1 & 2

Jacqueline du Pré (Violoncello), Daniel Barenboim (Klavier). 1968/2002, EMI Classic 

Daraus: Cellosonate Nr. 2 op. 99

Hui, das ist ganz schön langsam. Ein nobler, alter Klang, sehr „oldstyle“ gespielt, süffig. Das könnte Jacqueline du Pré sein. Da ist jede Unze Ausdruck ausgekostet, sie nimmt jeden Lagenwechsel, der sich anbietet, es ist ein wahnsinnig espressives Vibrato, und auf jeder zweiten Viertel ist irgendetwas ganz besonders. Das ist sicher Geschmackssache, ich habe auch mit vielen Dingen so einer Brahms-Interpretation ein Problem – aber kein so großes, weil sie es ehrlich und innig spielt. Hier, da weiß sie genau, wie toll ihre C-Saite klingt und sagt „hier bin ich“, auch wenn es an der Stelle eigentlich nur ein Kommentar zum Klavier ist. Das Tempo würde ich auf jeden Fall anders machen, hier geht mir ein bisschen der Fluss verloren, es schreitet alles nur sehr langsam voran. Aber so hat man das zu der Zeit gespielt, so klingen auch Brahms-Sinfonien mit Bernstein. Und irgendwie finde ich es rührend.

Schostakowitsch: Cellokonzert Nr. 2/Sonate für Cello und Piano

Sol Gabetta (Violoncello), Münchner Philharmoniker, Marc Albrecht (Leitung) Sony/RCA 2008

Daraus: Violoncellokonzert Nr. 2 op. 126, 1. Satz

Das klingt nach einer Live-Aufnahme, das Cello ist sehr im Vordergrund. Das könnte vielleicht Rostropowitsch sein, weil es auf der A-Saite wieder so etwas Metallisches hat, und weil es eindeutig auf den ganz großen Bogen angelegt ist, weniger auf Schönklang – das ist bei ihm oft der Fall. Er hatte allerdings auch unglaubliche G- und C-Saiten, das klingt hier viel weicher. Eine der letzten Live-Aufnahmen ist die von Sol Gabetta mit den Münchner Philharmonikern, ist es die? – Dann ist das auch der Link zu Rostropowitsch, ihre Lehrer Monighetti und Geringas waren ja beide Schüler von Rostropowitsch.

 Cellosuiten Bwv 1007-1012

 Heinrich Schiff (Violoncello)

 1985, EMI 

Daraus Bach: Suite für Violoncello solo Nr. 4 BWV 1010

 Das ist Heinrich Schiff, ganz klar. Er ist für mich eine der markantesten  Persönlichkeiten, nicht  nur weil ich bei ihm gelernt habe. Das ist so intelligent gespielt. Und er opfert an manchen Stellen eine Schönheit, um einen höheren Ausdruck zu erreichen. Es gibt sicher Leute, die sagen: Der Ton kratzt, oder der Basston hier ist nicht ganz rund. Aber mir ist das sympathisch, ich finde das menschlich und der Musik dienend. Man hört auch diese konsonantische Anschlagskultur, er schleicht sich nicht in die Töne hinein, er knipst sie an. Heinrich war einer der ersten „modernen“ Cellisten, der infrage gestellt hat, dass dieses Stück so langsam und so breit gespielt wird. Es ist ja ein figuratives Präludium, das davon lebt, dass die gebrochenen Akkorde in den Raum gestellt werden. Wenn man es ein Drittel langsamer spielt, hat der Hörer keine Chance, die Linie der Basstöne zu verfolgen. Diese Aufnahme war prägend, weil er es mit einem modernen Cello aufgenommen hat, Stradivari mit Stahlsaiten und normalem Bogen. Das heißt, er verzichtet auf die Barockhaltung und demonstriert so ganz wunderbar, dass dieser Ausdruck, wie man ihn sich vorstellt, im Prinzip mit jedem Instrumentarium umzusetzen ist – man muss sich nur im Klaren darüber sein, was man ausdrücken will. Das finde ich wichtig, denn dadurch bleibt diese informierte Art des Musizierens nicht den Spezialisten vorbehalten.

 Vocalise – Russian Romances

Mischa Maisky (Violoncello), Pavel Gililov (Klavier)

 2006, Deutsche Grammophon 

Daraus Glinka: The Lark

Den Klang kenne ich. Sehr schön. Man hört ihn auch deutlich atmen. Das ist der mit den  Locken, oder?. Mir gefällt hier, dass Maisky das relativ schlicht spielt und eben nicht völlig außer Rand und Band, mich überrascht das positiv. Denn es gab Live-Konzerte von ihm, die ich nicht ertragen habe, weil ich das Stück nicht mehr erkannt habe, vor lauter Überausdruck und körperlichem Furor. Und wenn dann ganz offensichtlich noch ein Zusammenhang besteht zwischen der Ausrasterei auf der Bühne und im Publikum, habe ich ein Problem damit. Ich finde seine alten Aufnahmen toll, die sind wirklich der Sache verpflichtet.

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