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Porträt Martha Argerich

Nervenbündel am Klavier

Wie die Pianistin Martha Argerich trotz Lampenfieber und Launen eine Weltkarriere hinlegte

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Wenn von ihr die Rede ist, kochen die Männerfantasien hoch: Die „Katze auf dem heißen Klavier“, die „Löwin am Klavier“, „ein Hauch von Juliette Greco“ – was hat man(n) nicht schon alles über Martha Argerich geschrieben! Und in Japan, wo sie wie eine Göttin verehrt wird, benannte ein Rennstallbesitzer einen seiner Vollblüter nach ihr. „Mittlerweile“, spottet Martha Argerich, „ist er alt und läuft keine Rennen mehr, während ich noch immer im Geschirr bin.“ Ja, man glaubt es kaum, stolze 75 Jahre ist sie 2016 geworden und immer noch dabei – trotz all der Absagen, ihres krankhaften Lampenfiebers und des Umstands, dass sie fast jeden Veranstalter in den Wahnsinn treibt, da sie sich grundsätzlich weigert, einen Vertrag zu unterschreiben. „Martha hat alles dafür getan, ihre Karriere zu ruinieren, aber es ist ihr nie gelungen“, meinte einst ihr Agent.

Vielleicht liegt es an jenen Momenten, in denen es ihr gelingt, ganz zu sich selbst zu kommen, in denen sie rein und entschlossen und gelöst musiziert. Glückliche Augenblicke, von denen ihre Bewunderer hemmungslos schwärmen – berauscht von Argerichs Glut, Enthusiasmus und ungezügelter Kraft. Doch es gibt auch die anderen Momente, wenn sie etwas quält. Dann scheinen ihr die Finger davonzulaufen, kann es passieren, dass sie im rasanten Sturmangriff über das Werk hinwegrollt und nichts als virtuose Leere hinterlässt. Dass Kunst nicht nur Berufung, sondern auch Beruf ist, wollte sie nie wahrhaben. „Ich liebe es sehr, Klavier zu spielen, aber ich bin ungern eine Pianistin. Und möchte nur spielen, wenn ich mich in der Stimmung befinde.“

Die Verrückte und der stete Risikofaktor

Sie sehe „den Ton nicht als gottgegeben an“, klagte einst Arturo Benedetti Michelangeli. Dass der rational kühle Perfektionist, der jedes Werk penibel bis in die letzte Nuance durchleuchtete, mit der temperamentvollen Argerich, die Musik ausschließlich intuitiv und ungezähmt anpackt, nicht viel anfangen konnte, lag buchstäblich auf der Hand. „Sie spinnt“, meinte auch Friedrich Gulda, selbst nicht gerade der Inbegriff von innerem Frieden: „Eine Wilde, eine Verrückte, nicht leicht zu behandeln und immer ein Risikofaktor.“ Kennen gelernt hatte Gulda sie in den 50er Jahren, auf einer Südamerikatournee, als eine jener „lästigen Mütter“ mit „Wunderkind“ vor ihm stand. Die Dame ließ sich nicht abwimmeln, und bald darauf tauchten Mama Argerich und Kind in Wien auf.

Mit zwölf konnte sie auf den Tasten bereits „alles“

Gulda nahm sich der zwölfjährigen Martha an – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Die war tatsächlich ein Wunderkind“, erinnert sich Gulda. Und weiter: „Es war ein ganz seltsamer Unterricht, weil das Mädel ja alles konnte, das war ja das Irrsinnige – mit zwölf! Ich hab’ nicht gewusst, was ich ihr beibringen soll.“ Er machte sie mit Haydns und Beethovens Humor bekannt, mit Schuberts und Brahms‘ Wehmut – und dies alles unentgeltlich. „Beim größten Talent, das mir je untergekommen ist, Geld zu verlangen: Ich hätte es nicht fertig gebracht.“

In Genf setzt Argerich ihre Studien fort bei Madeleine Lipatti, der Witwe des früh gestorbenen Pianisten Dinu Lipatti – die sie wiederum an Nikita Magaloff verwies. Ein weiterer Förderer wurde Stefan Askenase, der sie auf den berühmten Chopin-Wettbewerb in Warschau vorbereitete: Ihr dortiger Sieg 1965 war der Beginn einer Weltkarriere. 1966 debütierte sie in New York, 1967 in Paris und 1970 folgte die erste Japan-Tournee. Seitdem tourt sie durch die Welt – seit 1981 allerdings nicht mehr solistisch, da sie sich alleine auf der Bühne „wie ein Insekt unter der Lampe“ fühle.

Drei Festivals hat sie ins Leben gerufen, in Lugano, Beppu und Buenos Aires, auf denen sie – ganz pianistische Übermutter – eine musikalische Familie um sich schart. Zu ihr gehören etwa Gidon Kremer oder Mischa Maisky, mit denen sie regelmäßig zusammen auftritt, sowie mancher Ex-Gatte und Liebhaber: etwa der Dirigent Charles Dutoit, die Pianisten Stephen Kovacevich und Alexandre Rabinovitch. Aber auch die hochtalentierte Lilya Zilberstein, mit der sie beim Schleswig-Holstein Musik Festival Werke für zwei Klaviere spielen wird.

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