Nach einer Periode der Sommerhitze ist es am Premierenabend im Steinbruch St. Margarethen im sonnenverwöhnten Burgenland relativ kühl und ziemlich windig. Das Wetter passt somit zum Werk, das hier zum ersten Mal beim Festival Oper im Steinbruch aufgeführt wird: „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner. Schließlich spielt diese romantische Schauergeschichte im hohen Norden, an der Küste Norwegens. Regisseur Philipp M. Krenn und Bühnenbildner Momme Hinrichs verwandeln den gigantischen Steinbruch St. Margarethen in die norwegische Steilküste. Hoch oben an der Felskante des Steinbruchs wurde sogar ein kleines skandinavisches Fischerdorf aufgebaut, samt Kirche und Leuchtturm, der bei Dunkelheit tatsächlich sein Licht in alle Himmelsrichtungen schickt.

Perfekte Illusion eines Wagner-Spektakels unter freiem Himmel
Auf der rund 70 Meter breiten Bühne unten ist ebenfalls die Illusion perfekt, weil die beiden künstlichen Felsvorsprünge, die auf der Bühne in die artifiziellen Fluten ragen, in der Färbung des Sandsteins im Steinbruch gestaltet wurden. Riesige Wellenattrappen ragen an den Außenseiten der Bühne bedrohlich zwölf Meter in die Höhe, teils belebt durch Farbprojektionen. Laut Libretto hat ja stürmisches Wetter das Schiff des norwegischen Seemanns Daland vom Kurs abkommen lassen. In St. Margarethen sind Kapitän und Mannschaft sogar in Seenot geraten und retten sich, ausgestattet mit gelben Ölmänteln und Frühformen von Schwimmwesten aus Kork, in Booten auf einen der beiden Felsvorsprünge auf der Bühne.

„Fluch der Karibik“ lässt grüßen
Das Geisterschiff des Holländers, getreu dem Libretto Wagners mit zerfetzten, blutroten Segeln und schwarzen Masten, kommt als Wrack aus der Tiefe hinter einer Welle hervor. Im von Seetang bedeckten Schiffsbauch klafft ein Loch, als Galionsfigur hängt ein riesiger Oktopus am Bug, „Fluch der Karibik“ lässt grüßen. Die Mannschaft – zunächst graue Zombies, die sich in menschliche Erscheinungen wandeln – trägt Kleidung aus der klassischen Ära der Piraterie um 1700, ein gelungener Dreh von Kostümbildnerin Eva Dessecker, um die beiden unterschiedlichen Welten dieser Oper optisch deutlich voneinander abzusetzen. Passend gibt es auch gleich zu Beginn eine Meuterei auf dem Schiff des Holländers mit Pistolenschüssen und Degenstößen (Show Talent Network, Leitung: Ran Arthur Braun). Der Seefahrer Daland dagegen ist hier ein Unternehmer des frühen Industriezeitalters. Die Spinnstube mit Tochter Senta, Aufseherin Mary und den übrigen jungen Frauen ist in der Inszenierung zum per Dampfmaschine betriebenen Webereiunternehmen geworden. Der Wohn-Webereikomplex klebt wie ein Schwalbennest an der Steilküste.
Im zweiten Akt öffnet sich die Fassade und gewährt wie in einem Puppenhaus Blicke in den Betrieb. Live-Videos (Roland Horvath) zeigen Close-ups und Details, projiziert an die reale Felswand des Steinbruchs, was den bewegten Bildern in Sepia-Färbung eine zusätzliche Vintage-Optik verleiht. Senta, die verträumte Außenseiterin in ihrer Gesellschaft, von der düsteren Legende des „fliegenden Holländers“ angezogen, hält sich am liebsten auf dem Dach des Hauses auf, um sich ungestört ihren Sehnsüchten hinzugeben. Ein poetischer, genuin hochromantischer Bildeindruck, der sich durch die Inszenierung zieht.

Bühnenzauber lässt die Personenregie verblassen
Allerdings hat sich das Kreativteam mit seinen ambitionierten Bühnenideen letztendlich selbst ein Bein gestellt. Denn: So imposant, ja überwältigend, die gesamte Szenerie auch ist, so wenig praktisch erweist sie sich für die Personenregie. Es fängt schon damit an, dass die Begegnung zwischen dem Holländer und Daland auf weite Distanz zwischen Geisterschiff und Felsvorsprung stattfindet. Wenig glaubwürdig, dass sich beide so über die Schätze des Holländers und das Verschachern von Senta als dessen zukünftige Braut verständigen. Ziemlich plump wird dieses Problem dann nach einer Weile gelöst: Der Holländer treibt mit dem Anker über die See auf den Felsen. Und Daland wundert sich nicht, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht? Wenn sich der Holländer dann unter Daland und dessen Mannschaft mischt, zeigt die Personenregie in deren Reaktionen ebenfalls nichts, was den fremden Seemann als mysteriös markieren würde.

Superwoman Senta
Die kammerspielartige Handlung des zweiten Aktes versucht man mit Auf- und Abgängen zwischen den Etagen des Hauses von Daland dynamisch zu halten. Da auf relativ engem Raum jedoch der Kameramann und sein Assistent agieren, ist nicht immer klar ersichtlich, wie das Videobild mit der Aktion in diesem Haus in Verbindung steht. Geradezu absurd sind dann die Lösungen für die Personenführung im dritten Akt: Dalands Mannschaft in Festtagskleidung wandelt durch Wellenattrappen der wilden Nordsee, um das Geisterschiff des Holländers mit Tauen an den Felsen zu ziehen – als wäre es dort so flach wie im nicht weit von St. Margarethen gelegenen Neusiedlersee. Die jungen Frauen des Dorfes beobachten das Geschehen von der Terrasse von Dalands Weberei. Ihr Kontakt mit den Burschen läuft über weite Distanz.
Der in Senta verliebte Jäger Erik konfrontiert diese mit ihrem Eheversprechen nicht in der Stube, sondern ebenfalls aus der Entfernung: Sie im Haus, er weit unten auf dem Felsvorsprung. Wie soll da irgendein dramatisches Knistern zwischen den Figuren aufkommen? Deshalb bewegen beide sich dann bald ebenfalls durch die Fluten der Nordsee, um sich einander räumlich zu nähern. Wenn der Holländer schließlich Senta und Erik überrascht und sofort resigniert mit seinem Geisterschiff losfährt, zieht Senta als romantische Superwoman das Schiff zu sich heran. Am Ende ist sie rasant schnell plötzlich oben am Leuchtturm, brennt am ganzen Leib und wirft sich in die Fluten. Diese fangen in einem typisch wagnerianischen Showdown à la „Götterdämmerung“ Feuer, und der gesamte Baukomplex Dalands wird abgefackelt. Avancierte Videoprojektionen kreieren einen furiosen Feuer-Wasser-Tsunami. Das ist äußerst eindrucksvoll, unbestritten. Leider ist die Stunt-Performance mit der in die Tiefe springenden Senta etwas verschenkt, weil eine der riesigen Wellen des Bühnenbildes diesen Sturz rasch verschluckt.

Kraftvolle, ausdrucksstarke Darbietungen der exzellenten Solisten
Musikalisch verhält sich der Verlauf des Abends genau gegenteilig zum missglückten Bühnengeschehen. Am Anfang ruckelt es akustisch trotz der hochmodernen Soundanlage zwischen dem in einem Saal neben der Bühne sitzenden Piedra Festivalorchester und den Sängern auf der Bühne. Es stellt sich nicht gleich ein vokal-orchestrales Ganzes im Gesamtklang ein, es ertönt eher flach und blechern. Die Details der Instrumentalschicht kommen auf diese Weise nicht deutlich hervor. Dies ist allerdings bald zum Glück optimiert, so dass die Farben intensiver und glühender werden, die musikalischen Gestalten plastisch hervortreten. All dies entlockt Dirigent Patrick Lange dem Orchester. Auch der auf der Szene spielfreudige Philharmonia Chor Wien ist musikalisch gut aufgestellt. Tadellos sind zudem sämtliche Solisten in ihren durchgehend kraftvollen, ausdrucksstarken Darbietungen, allen voran Elisabeth Teige als dem Irdischen enthobene, traumwandlerisch strahlende Senta und George Gagnidze als kernig-bedrohlicher Holländer. Deswegen und aufgrund der mitreißenden Bildwelten aus Kulissen, Licht und Videotechnik, in die der Steinbruch St. Margarethen getaucht wird, lohnt sich dennoch ein Besuch dieses Wagner-Spektakels unter freiem Himmel.
Oper im Steinbruch St. Margarethen
Wagner: Der fliegende Holländer
Patrick Lange (Leitung), Philipp M. Krenn (Regie), Momme Hinrichs (Bühnenbild), Eva Dessecker (Kostüme), Pavel Grilji (Licht), Roland Horvath (Video), Volker Werner (Ton), Walther Zeh (Chor), Ran Arhur Braun (Live Action Director), George Gagnidze (Holländer), Elisabeth Teige (Senta), Liang Li (Daland), AJ Glueckert (Erik), Jinxu Xiahou (Steuermann), Roxana Constantinescu (Mary), Show Talent Network (Stunts), Philharmonia Chor Wien, Piedra Festivalorchester
Do, 10. Juli 2025 20:30 Uhr
Musiktheater
Wagner: Der fliegende Holländer
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Fr, 11. Juli 2025 20:30 Uhr
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