Zum 150-Jahre-Jubiläum der Bayreuther Festspiele 2026 gibt es jede Menge Ein- und Erstmaliges: Nur im Sommer 2026 kommt Wagners Früh- und Hitlers Lieblingsoper „Rienzi“ mit noch nie erklungenen Teilen dieser Großen Oper im Festspielhaus zur Aufführung. Ein „Ring“ mit KI-Rückblick auf die Festspielgeschichte unter Kuration von Marcus Lobbes und die Uraufführung „Brünnhilde brennt“ von Bernhard Lang und Michael Sturminger folgen. Ab sofort sind Packages verschiedener Größe mit Frühbucher-Rabatt für 2026 im Angebot. Katharina Wagner wünscht sich mehr finanzielle Unterstützung der Vermittlungsprojekte und kann sich Dank der Installierung des neuen General Manager Matthias Rädel auf die künstlerische Leitung konzentrieren. Das haben die Bayreuther Festspiele und die Bahn derzeit gemeinsam: Viele Baustellen.
Spiegel mit Filterfunktion
Die Regie-Überraschung bei der „Meistersinger“-Premiere durch Matthias Davids ist möglicherweise sogar wirklichkeitsnäher als manche Bayreuther Trend-Innovation der letzten Jahre – etwa die VR-Brillen bei „Parsifal“ 2024 durch Jay Scheib oder der zur redselig ausgebreiteten Beziehungshandlung aufgebrachte Bilderballast bei „Tristan und Isolde“ 2025. Der Musical-Experte Davids beherrscht sein Metier und ist durch die Rechtsgebundenheit von Musical-Inszenierungen immer zum genauen Blick auf die Regieanmerkungen angehalten. Diese Voraussetzung beherzigte er für Richard Wagners mit der Uraufführung 1868 in München sofort zum Dauererfolg gewordenen Oper. Bürgersatire, Satyrspiel, Posse mit Prügelei oder lyrische Komödie? Bei Davids‘ farbintensiver Deutschland-Satire steckt vieles, aber nicht alles drin. Wie beim Dirigat von Daniele Gatti gipfelt die Premiere nach leichten Anlaufschwierigkeiten in einem faszinierend doppelbödigen dritten Akt. Beim Schlussapplaus reagierte das Publikum mit weitaus weniger Buhs als in den Vorjahren, entsandte dafür relativ kurze, aber sehr laute Applausfontänen. Man fühlte sich beim Gesehenen einfach zuhause.
Permanente Party
Ein Hauptakzent liegt auf den vom Schusterpoeten Hans Sachs beschworenen „Wahn“. Wenn eine auf hohe Treppe gesetzte Kirche über dem hölzern-metallischen Spielraum des ersten Aktes thront, im zweiten bunte Fassaden für die im 16. Jahrhundert spielende Handlung Kopf stehen, Bäume urbane Begrünung zeigen und die finale Festwiese mit pinkem Kuhballon dekoriert ist, meint Andrew D. Edwards idealisierte urbane Wohn- und Glücksvisionen der Gegenwart. Farbigkeit übertüncht und beschwichtigt Miseren, macht in der Globalisierung alle gleich und schafft permanente Partystimmung. Susanne Hubrich hat sich für ihre Kostüme auf Straßenfesten jeder Couleur, Manga-Partys, Oktoberfesten und der Leipziger Buchmesse inspiriert. Hier verschwinden Gegensätze. Die Nürnberger Bürger inklusive Feiervolk, legitimer Queerness und Mädchen aus Fürth wirken nur geflasht, wenn Sachs zum Lob der „deutschen Meister“ ausholt und damit intensive Kunst-Ambitionen meint. Auch hier hauen der rebellische Edelbarde Walther von Stolzing aus Franken und Eva Pogner am Ende ab, während Sachs und sein Rivale Sixtus Beckmesser versöhnt poetische Schadensanalyse betreiben.

Die Accessoires sitzen bis zur als Bücherbörse relaunchten Telefonzelle. Matthias Davids und sein Team sind vor der Eskalation in die Prügelei nett, Abgründe hinter den Figuren und Fassaden zeigen sich erst später, aber nicht ganz. Überwiegend fokussiert sich alles auf den hübscheren Teil der Wirklichkeit – Anzeichen von Entsolidarisierung gibt es nur vage.
Männervereinigung „Schlaraffia“
Die Meistersinger sind diesmal eine Sektion der gutbürgerlich kunstsinnigen, im Umfeld des Deutschen Theaters Prag gegründeten Männervereinigung „Schlaraffia“. Diese pflegt unter mittelalterlichen Fantasieuniformen und -namen eine schöne Geselligkeit mit ironischer Geheimniskrämerei. Aus dem Dilemma, dass da in der Erholung vom Regelzwang des realen Lebens für die Mitglieder eigengesetzlich nervige Druckmittel entstehen, hätte Davids weitaus intensiver verdichten können. So bleibt es beim Spiegel einer Gesellschaft, die bei Manufactum oder Vintage Stores konsumiert und wachsende Armut nicht ins Selbstbild kommen lässt.
Tageslichttaugliche Walpurgisnacht vor Sonnenkreis und Schäfchenwölkchen
Wie im echten Leben herrscht Mangel an guten Handwerkern. So gerät die Schusterstube zum ehrlichsten, am wenigsten geschönten und in seiner Ambivalenz hoch achtbaren Panorama mit Geruch nach Leder, Staub und Werkstatt. Bis hierher musste man vermuten, dass die Verspieltheit dieser „Meistersinger“-Neuproduktion nicht an ihre Vorgänger – Barrie Koskys „Meistersinger“-Scharade im Haus Wahnfried, Katharina Wagners Rundumschlag gegen Kunst und Künstlichkeit – heranreichen könnte. Doch, das tut sie im dritten Akt reichlich. Davids und sein Team arbeiten genau, setzen ihre Beobachtung der Gegenwart subtil und nur auf den ersten Blick harmlos um. Die Festwiese ist eine tageslichttaugliche Walpurgisnacht vor Sonnenkreis und Schäfchenwölkchen. Simon Eichenberger staffelt die Massenparty in Rainbow-, Pop- und Knallfarben stellenweise sogar lustig. Aber was da auf dem Podium über Kunst und Krempel verhandelt wird, spielt keine Rolle – außer wenn subtile Themen für die fröhlichen Meuten vom Feieranlass zur Spaßbremse werden.

Musikalische Deutlichkeit
Hohe Rossini– und Mahler-Kompetenzen, dazu eine Bayreuther „Parsifal“-Erfahrung im Jahr 2008, sind für „Meistersinger“ eine profunde Einstiegsvoraussetzung. Zuerst begann Daniele Gatti arg breit, Nebenstimmen waren unhörbar und hinterließen im zu breit genommenen Vorspiel Löcher. Was in Wagners nicht nur heiterer Partitur wirklich steckt – bis zum Vordenken Richtung Moderne, an romantischem Leuchten und selten so deutlich gemeißelten Schroffheiten – hörte man erst in einem fulminant entwickelten Schlussakt. Da ziehen Davids, Gatti und der überragende Georg Zeppenfeld als Hans Sachs an einem Strang. Sachs ist also nicht nur der menschlich abgeklärte Humanist, sondern hat mit Anflügen von Autoritäts- und Allmachtsgedanken dunkle Seiten. Licht und Schatten wechseln in den 120 Minuten des Schlussaktes immer häufiger. Davids baut mit dem Ensemble logisch entwickelte Figuren, von denen nur Matthias Stier als David minimal abfällt. Bei Stier passen schlanke Linie und leichte Höhenrauheiten nicht zusammen. Christa Mayer gibt eine souveräne Magdalene und Christina Nilsson gestaltet Eva, wie es sein soll: leuchtend, mühelos und mit starkem Selbstbewusstsein hinterm Edeldirndl.
Partnerwahl als Luxusproblem
Mit dieser Besetzung der drei männlichen Hauptpartien erweisen sich alle inneren Konflikte von Evas Partnerentscheidung als Luxusproblem. Neben dem hier sehr cholerisch verzichtenden Sachs Zeppenfelds bewegen sich zwei andere Stimmen im Zenit. Michael Nagy wartet als Beckmesser nicht nur mit einer pink leuchtenden E-Gitarre auf, sondern auch mit außerordentlich hohen attraktiven und stimmlichen Wertigkeiten. Dieser Beckmesser ist jenseits von Wagners Judenkarikatur ein Prachtkerl mit vollendeten Umgangsformen und Instinkt fürs gesellschaftliche Parkett, aber in Sachen Kunst leider nicht der hellste. Michael Spyres geht seinen Rivalen Stolzing ohne zu großen Krafteinsatz in der Höhe an, zeigt konditionsstarke Höhenreserven, dabei immer schöne Linien und hohes Sympathiepotenzial. Feingeistige Gestik und Spyres‘ Faible für mittlere Dynamikbereiche wirken ideal ineinander. Jongmin Park gibt einen sympathischen und dabei neutralen Pogner, Jordan Shanahan einen markanten Kothner. Der Chor der Bayreuther Festspiele hat Leuchtkraft auch nach der Strukturreform. Alles inklusive Festspielorchester leuchtet nach außen, aber brodelt unter dem bunten Schein. Vieles steckt in den neuen „Meistersingern“ drin von der deutschen Wirklichkeit der jüngsten Vergangenheit zwischen Angela Merkel und Thomas Gottschalk – sogar einige Verdrängungsmechanismen aus den Wohlstandszonen und Komfortzonen. Gute Voraussetzungen für einen Erfolg bis zum Ende der noch frischen Legislaturperiode.
Bayreuther Festspiele
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
Daniele Gatti (Leitung), Matthias Davids (Regie), Andrew D. Edwards (Bühne), Susanne Hubrich (Kostüm), Thomas Eitler-de Lint (Chor), Christoph Wagner-Trenkwitz (Dramaturgie), Fabrice Kebour (Licht), Simon Eichenberger (Choreografie), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Michael Spyres (Walther von Stolzing), Christina Nilsson (Eva), Michael Nagy (Sixtus Beckmesser), Matthias Stier (David), Christa Mayer (Magdalene), Jongmin Park (Veit Pogner), Jordan Shanahan (Fritz Kothner), Martin Koch (Kunz Vogelgesang), Werner Van Mechelen (Konrad Nachtigall), Daniel Jenz (Balthasar Zorn), Matthew Newlin (Ulrich Eisslinger), Gideon Poppe (Augustin Moser), Alexander Grassauer (Hermann Ortel), Tijl Faveyts (Hans Schwarz), Patrick Zielke (Hans Foltz), Tobias Kehrer (Nachtwächter), Chor der Bayreuther Festspiele, Orchester der Bayreuther Festspiele
Termintipp
Sa, 02. August 2025 16:00 Uhr
Musiktheater
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
Bayreuther Festspiele
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Di, 05. August 2025 16:00 Uhr
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
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Mo, 11. August 2025 16:00 Uhr
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Do, 14. August 2025 16:00 Uhr
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Di, 19. August 2025 16:00 Uhr
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg
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