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INTERVIEW ISABELLE FAUST

„Jeder muss sich ganz bewusst den Kopf zerbrechen“

Isabelle Faust über das Üben zuhause und in Hotels, schwierige Zeitgenossen und die Anspannung auf der Bühne.

vonJakob Buhre,

Manchmal merkt man bereits bei der Anbahnung eines Interviews, wie gefragt ein Künstler ist. So dauert es bei Geigerin Isabelle Faust schon einige Wochen, bis für ein Telefongespräch das passende Zeitfenster zwischen Konzerten in Italien und Österreich gefunden ist. Dabei sei sie stets dabei, ihren Kalender zu filtern, sagt die Echo-Preisträgerin von 2012: „Ich versuche, nur Projekte zu machen, die mir besonders am Herzen liegen, mit Musikern, die ich besonders schätze. Und trotzdem ist der Kalender immer voll. Das empfinde ich als unglaubliches Glück.“

 

Frau Faust, in Porträts über Sie schwärmen die Journalisten gerne von Ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg…

 

Ja, die ist tatsächlich speziell, weil unser Wohnzimmer früher ein Atelier war. Das wurde um 1906 für einen Hofmaler gebaut, deshalb hat es eine Höhe von sechs Metern – das beeindruckt jeden unserer Gäste.

 

Und die Akustik ist gut?

 

Die ist fast schon zu gut. Es hallt sehr, insofern müsste ich für eine gute Arbeitsakustik alles mit Wandteppichen vollhängen. Ich bevorzuge zum Üben eher einen trockenen Raum.

Hat man als Geigerin viel Probleme mit Nachbarn?

 

Als wir einzogen, hatten wir ein bisschen mit dem Misstrauen der Nachbarn zu kämpfen. Die dachten sich wahrscheinlich: „Oh, eine Familie mit Kind und dann noch Musikerin, mit Geige und Flügel…“ Doch das hat sich inzwischen sehr entspannt, weil sie mitbekommen haben, dass wir ganz verantwortungsvoll mit dem Üben umgehen. Dazu kommt, dass ich selbst viel unterwegs und wenig zuhause bin.

Dann üben Sie vermutlich im Hotel.

 

Ja, sehr oft sogar. Doch bei meiner inzwischen langjährigen Reiserei ist es vielleicht zwei oder drei Mal passiert, dass ein Hotelnachbar sich beschwert hat. Da habe ich meistens Glück gehabt…

… oder Sie haben den übrigen Hotelgästen mit Ihrem Spiel einfach eine Freude bereitet.

 

Danke für das Kompliment (lacht). Allerdings gibt es ja auch Stücke, die kann man noch so schön üben… Im Moment arbeite ich zum Beispiel an Kurtágs Kafka-Fragmenten. Und das stelle ich mir vom Nachbarzimmer aus durchaus anstrengend vor. Da setze ich den Übedämpfer auf die Saiten, damit es nicht zu sehr nervt.

Wie anstrengend ist diese Übesituation für Sie als Interpretin?

 

Was Kurtág betrifft, muss ich sagen: Auch wenn das Stück sehr knifflig ist, macht es Spaß, das zu üben, auch stundenlang. Doch bei anderen zeitgenössischen Werken gibt es schon manchmal Durststrecken, Momente, in denen man denkt „Was hast du dir da eingebrockt?!“ Wo man vielleicht noch nicht den roten Faden entdeckt hat und sich erstmal durch die Materie „durchfressen“ muss, um irgendwann Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Da muss man zwischendurch dann auch mal etwas Anderes üben.

Sie meinen etwas Tonales? Mozart vielleicht?

 

So eine Strategie ist in der Tat manchmal sehr willkommen. Man braucht dann einen Ausgleich für den Kopf, für die Nerven, auch für den Körper, denn die physische Anspannung ist bei zeitgenössischer Technik ja teilweise sehr hoch.

Denken Sie bei zeitgenössischer Musik manchmal: Warum muss es so kompliziert sein?

 

Das kommt häufiger vor, insbesondere, wenn man noch ganz am Anfang steht. Da versucht man als Interpret erstmal ganz genau zu arbeiten und die Absicht des Komponisten in der Partitur zu erkennen. Man kann eigentlich immer erst nach mehreren Aufführungen feststellen, ob es sinnvoll war, die Musik so genau und so kompliziert zu notieren, oder ob es auch einen klareren und praktischeren Notierweg gegeben hätte.

Und den besagten roten Faden, entdecken Sie den immer?

 

Häufig gibt es den, manchmal aber auch nicht. Ich kann nicht behaupten, dass mir jedes zeitgenössische Werk, das mir unter die Finger gekommen ist, auch wirklich zugesagt hat. Aber es ist die Aufgabe der heutigen Musiker, die Musik der Gegenwart zu unterstützen und sich auch ein Bild zu machen, was zu einem selbst als Interpret passt und mit welcher Art von zeitgenössischer Musik man vielleicht nicht so viel anfangen kann.

Was ist dabei für Sie ausschlaggebend?

 

Mir ist wichtig, dass mich ein Werk beim Anhören oder Einstudieren nicht nur intellektuell anregt, sondern auch emotional Saiten zum Schwingen bringt. Es muss eine Art von Idee erkennbar sein, gleichzeitig muss ich emotional involviert sein. Sonst ist es beim Einstudieren nur ein Kampf gegen die Materie, das ist schwierig durchzuhalten.

Neben Ihrer Konzerttätigkeit hatten Sie zeitweise eine Professur an der Berliner Universität der Künste. Warum haben Sie diese letztlich aufgegeben?

 

Ich habe nach drei Jahren gemerkt, dass es einfach zu viel war. Mein Kalender war einer für drei Personen und ich dachte: Das ist nicht meine Art Leben, wenn jede Minute des Jahres ganz genau verplant wird. Ich selbst kam nicht mehr zum Üben und hatte die Sorge, dass meine eigene Spielqualität darunter leiden würde. Außerdem blieb sehr wenig Zeit für die Familie.

Was – außer Zeit – benötigt man noch als Lehrer?

 

Viel Erfahrung. Die braucht man, um jeden Schüler individuell unterrichten zu können, um zu erkennen, was bei wem fehlt, auch wie man psychologisch einen Schüler anpackt. Es geht ja nicht darum, den Schülern zu erklären, „ich spiele das auf diese Art und Weise, jetzt versuch mal, ob das bei dir auch funktioniert“. Sondern man sollte sich als Lehrer von seinen eigenen geigerischen Bedürfnissen befreien und ganz auf den Schüler zugehen.

Fällt das schwer, als Lehrer die eigene Interpretation hinten an zu stellen?

 

Es ist sicher nicht ganz falsch, wenn die eigene Interpretation einfließt. Zumal die Studenten, die sich für mich entschieden haben, sich ja auch gerade dafür interessiert haben. Ich habe aber immer versucht, den Studenten klar zu machen, dass sie selbst die Entscheidung treffen müssen und nicht nur etwas imitieren.

Welche Rolle spielte Imitation denn für Sie, als Sie Studentin waren?

 

Ich glaube, das war bei mir eine gesunde Mischung. Bis ich zu meinem Lehrer Christoph Poppen kam, war ich jemand, der sehr leicht und viel imitiert hat. Doch mit 16, 17 Jahren musste der Kopf dann endlich auch eingeschaltet werden. Ich erinnere mich, dass ich damals einen Kurs bei Wolfgang Schneiderhan machen wollte. Doch dann war ich etwas schockiert: Zu den Stücken, die ich mitbringen wollte, bekam ich erstmal per Post die Noten mit Fingersätzen, Bogenstrichen und Kadenzen von Herrn Schneiderhan ins Haus geschickt. Die sollte man lernen, ohne genau diese Fingersätze, Bogenstriche und Kadenzen musste man gar nicht erst anreisen. Das ist das Gegenbeispiel zu dem, was Christoph Poppen mir vermittelt hat. Dass es eben nicht um Schema A oder B geht, sondern dass sich jeder ganz bewusst den Kopf zerbrechen muss. Also nicht imitieren, sondern reflektieren, warum man sich für eine musikalische Variante entscheidet.

Sie sprachen über den psychologischen Umgang mit Schülern. Spielt die Psyche eine Rolle für eine gelungene Interpretation?

 

Ganz bestimmt. Schon allein die Situation, auf der Bühne zu stehen, erfordert ein enormes Talent, mit der eigenen Psyche umgehen zu können. Man steht ja unter großem Druck, als Solo-Geigerin ganz besonders, weil jedes solistische Konzert ganz genau begutachtet wird. Da ist die Kontrolle der eigenen Nerven sehr wichtig, damit man sich in der Stress-Situation nicht von der Musik entfernt.

Das heißt, die völlige Entspanntheit auf der Bühne gibt es nicht?

 

Also, ich habe sie nie erlebt. Aber das ist nicht unbedingt negativ zu sehen, denn ich glaube, dieses gewisse Etwas, was dann eben im Konzert entsteht, was man vielleicht in einer Probe nicht gehabt hat – das hat natürlich auch damit zu tun.

Und bei der Zugabe? Gibt es nicht zumindest da das Gefühl der Entspannung?

 

Es gibt bestimmt Leute, die eine Zugabe mit so einem Gefühl spielen. Bei mir ist das nicht der Fall. Ich denke immer „jetzt hast du das Hauptwerk einigermaßen gut geschafft, jetzt versau‘ bloß nicht die Zugabe!“ (lacht) Es gibt immer einen Grund, gut aufzupassen.

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