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Interview Christian Thielemann

„Musik darf auch Spaß machen“

Kapellmeister Christian Thielemann über deutschen Klang, die Komplexität des Komischen und die „Strauss-Stadt“ Berlin.

vonAndré Sperber,

Eine Schallplatte mit Beethovens „Egmont“-Ouvertüre erweckte in ihm einst die Berufung. Heute gehört Christian Thielemann zu den bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart. Seinem weltbekannten Ruf als gefeierter Interpret des deutschen Repertoires kommt er als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper aktuell mit einer neuen Strauss-Operproduktion nach – doch der Maestro gibt sich durchaus offen für Neues, auch abseits der üblichen Romantik-Schwergewichte.

Herr Thielemann, Ihre erste Spielzeit als GMD der Berliner Staatsoper neigt sich dem Ende zu. Haben Sie sich gut eingelebt seit Ihrer Rückkehr in die Heimatstadt?

Christian Thielemann: Ich lebe seit vielen Jahren in Potsdam, von daher bin ich eigentlich gar nicht zurückgekommen, sondern einfach geblieben. Aber ja: Daniel Barenboim hat mir ein exzellentes Orchester hinterlassen – bildlich gesprochen war der Tisch bereits gedeckt. Meine Aufgabe ist es jetzt, das Tafelsilber zu polieren und diese herausragende Arbeit weiterzuführen.

Vor der Sommerpause steht mit „Die schweigsame Frau“ Ihre erste Neuproduktion an. Strauss selbst sagte über das Werk: „Die Oper ist ein Volltreffer, wenn vielleicht auch erst im 21. Jahrhundert.“ Wissen Sie, was der Komponist damit meinte?

Thielemann: Er hat damit sehr charmant umschrieben, wie wahnsinnig kompliziert und unheimlich schwer dieses Werk zu realisieren ist. Die Partitur ist so undurchdringlich – da fallen Ihnen die Haare vom Kopf! Und probieren kann man das wirklich nur in ganz kleinen Häppchen, ansonsten bringen Sie die Sänger um. Die Musik ist teilweise so filigran bis ins letzte Detail, manchmal ist sie fast atonal anmutend. Viele sagen beim ersten Hören: „Da gibt’s ja gar keine Melodie!“ Ja – das ist so komplex, das müssen Sie drei-, fünf- oder zehnmal hören, bis Sie es wirklich erfassen.

Auch für Sie ist es das erste Mal, dass Sie das Werk dirigieren.

Thielemann: Ich wollte es schon immer mal machen, und jetzt hat es sich hier endlich ergeben – aber der eigentliche Knaller ist: „Die schweigsame Frau“ wurde in Berlin überhaupt erst ein einziges Mal gespielt, nämlich in den Neunzigern an der Komischen Oper. Weder die Deutsche noch die Staatsoper haben das Werk je aufgeführt. Als ich das hörte, war ich fassungslos.

Dabei war Strauss selbst lange GMD in Berlin. Sie treten ja quasi in seine Fußstapfen.

Thielemann: In seinen zwanzig Jahren an der Lindenoper, von 1898 bis 1918, hat Richard Strauss über tausend (!) Aufführungen dirigiert – so viele wie sonst keiner dort. Und trotzdem gilt Berlin kurioserweise bis heute nicht als „Strauss-Stadt“. Dabei war gerade Berlin für seine musikalische Entwicklung entscheidend. Vor allem für die schärferen, teils atonalen Elemente, etwa in „Salome“, „Elektra“ oder auch in „Die Frau ohne Schatten“. Ich glaube nicht, dass er diese Radikalität aus Garmisch, München oder Wien mitgebracht hat, sondern aus dem Berliner Geist dieser Zeit.

Den Namen Christian Thielemann verbindet man neben Strauss vor allem mit Wagner, Bruckner, Beethoven – dem „deutschen Klang“ sozusagen. Ihr Repertoire reicht aber deutlich weiter. Finden Sie diese Einordnung angemessen?

Thielemann: Es kommt immer darauf an, mit welchem Repertoire man bekannt wird. Ich hatte das große Glück, dass ich, als ich noch sehr jung war, in Hamburg meinen ersten „Tristan“ dirigieren durfte. Es wurde ein Riesenerfolg, und wenn dann die großen Häuser – Wien, Bayreuth, die Met und so weiter – einen für eben dieses deutsche Kernrepertoire einladen, greift man natürlich zu. Wer sagt da nein? Aber so bekommt man auch schnell einen Stempel aufgedrückt. Früher habe ich auch sehr viel Zeitgenössisches gemacht und viele Operetten dirigiert.

Würden Sie auch heute gerne mehr anderes Repertoire dirigieren?

Thielemann: Wir sind schon dabei. Im Moment entdecke ich Liszt für mich wieder, etwa seine „Bergsinfonie“. Seine Tondichtungen werden absolut unterschätzt. Wir haben in dieser Spielzeit auch Filmmusik und Schlager der Zwanzigerjahre, Schönberg, Henze und Samy Moussa gespielt. Aber alles kann man auch nicht machen. Qualität geht vor Quantität, und man hat ja auch noch ein Privat­leben.

Stimmt es, dass Leichtes oder Komödiantisches mitunter schwieriger zu dirigieren ist als das große Drama?

Thielemann: Das können Sie glauben! Die Polkas, Walzer, Operetten sind musikalisch keinesfalls leichte Kost, sondern für ein Orchester teilweise enorm schwer zu spielen. Das ist einer der Gründe, warum ich sie so liebe. Immer nur „Götterdämmerung“ zu dirigieren, dieser ständige emotionale Hochdruck, bringt einen an den Rand des Ruins. Man sollte nicht vergessen, dass Musik auch Spaß machen darf. Ich erinnere mich, wie Herbert von Karajan einmal zu mir sagte: „Wenn Sie die ,Lustige Witwe‘ dirigieren können, können Sie alles.“ Und das stimmt! Wer Operette wirklich verstanden hat, dirigiert auch Wagner oder Beethoven anders.

Die Karten für seinen „Ring“-Zyklus im Herbst waren nach Minuten ausverkauft: Christian Thielemann
Die Karten für seinen „Ring“-Zyklus im Herbst waren nach Minuten ausverkauft: Christian Thielemann

Sie waren mehrere Jahre Karajans Assistent. Haben Sie ihm schon damals kritisch über die Schulter geschaut und manchmal gedacht: Die Stelle hätte ich jetzt anders dirigiert? 

Thielemann: Ja, das habe ich sogar sehr oft gedacht. Wenn man Karajan – der zu mir übrigens immer ausgesprochen freundlich und liebevoll war – in den Proben beim Dirigieren zuschaute, sah das immer alles so einfach aus. Er machte nur ganz leichte Bewegungen und das Orchester spielte göttlich. Da denkt man als junger Mensch: Das kann ich auch, wenn nicht sogar besser! Aber sobald man selbst am Pult steht, kommt man schnell auf den Boden der Tatsachen zurück – und das ist auch gut so. Denn dann beginnt man, seinen eigenen Weg zu finden, und darum geht es ja letztlich.

Sehen Sie das Dirigieren als Handwerk, bei dem man durch Erfahrung seine Interpretationen immer weiter verfeinert, oder entfernt man sich mit der Zeit eher vom Perfektionismus?

Thielemann: Gerade beim Proben bin ich mittlerweile sehr ökonomisch und gelassener geworden. Wenn man über Jahre mit einem Orchester arbeitet, entsteht ein gemeinsames Verständnis, ein gegenseitiges Vertrauen. Ich weiß genau, was ich ansprechen muss und wo ich das Orchester auch einfach mal laufen lassen kann, damit Spontaneität möglich bleibt. Ich bin kein „Über-Prober“. Wenn ein Konzertabend keine Überraschung mehr birgt, wenn alles vorher festgelegt wurde, dann fehlt mir etwas. Manchmal entsteht etwas erst aus dem Moment heraus – und das liebe ich. Deshalb mag ich Orchester, die mitdenken und mitatmen. In Dresden hat das über 14 Jahre hervorragend funktioniert. Bei den Wienern ist es ähnlich, und auch in Berlin hatte ich zur Staatskapelle sofort einen sehr guten Draht.

Heute gelten Sie als einer der letzten Vertreter der großen Kapellmeistertradition im deutschsprachigen Raum.

Thielemann: Das stimmt, man sieht, dass diese Tradition heute leider etwas in den Hintergrund gerät. Die klassische Kapellmeisterkarriere, wie sie früher üblich war – am Klavier im kleinen Theater, als Korrepetitor, Stück für Stück wachsend – ist heute nicht mehr „en vogue“. Viele junge Dirigenten setzen sich gar nicht mehr ans Klavier, manche können es schlichtweg nicht und wollen es auch nicht. Operette ist unter der Würde, und statt solide aufzubauen, beginnt man direkt mit Mahler. Natürlich darf man träumen, aber manche Dinge brauchen eben Zeit, Tiefe, Reife. 

Hat sich das Image des Kapellmeisters bzw. des Dirigentenberufs über die Jahre verändert?

Thielemann: Was das Musikalische angeht, ist es gleichgeblieben: Wer am Pult steht, muss etwas zu sagen haben. Und ein Orchester spürt innerhalb von Sekunden, ob jemand Substanz hat. Vielleicht hat es sich oberflächlich verändert. Ich erinnere mich an eine Szene in den USA vor vielen Jahren. Da sagte jemand über einen Kollegen zu mir: „Oh, he is only a Kapellmeister.“ Als ob das etwas Abwertendes wäre. Da musste ich lachen – denn was ist ein Maestro anderes als ein Kapellmeister auf Italienisch? Warum ist das eine glamourös und das andere langweilig? Ich sehe mich als Handwerker. Ich brauche den ganzen Pomp nicht. Mir geht es um das Wesentliche: die Musik.

Buch-Tipp:

Richard Strauss. Ein Zeitgenosse

Christian Thielemann
C.H. Beck, 315 Seiten
28 Euro

DVD-Tipp:

Album Cover für Wagner: Götterdämmerung

Wagner: Götterdämmerung

Andreas Schager, Anja Kampe, Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin u. a. Unitel

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