Die Augen schließen, sich von Musik überraschen lassen und dazu vielen Gedanken Raum geben: Angelika Bachmann, Gründerin und Erste Geigerin bei Salut Salon, hat viel Spaß bei unserem „Blind gehört“-Interview und noch mehr Gehaltvolles und Persönliches zu sagen. Das Frauenquartett ist gerade auf Tour mit seinem neuen Programm „Heimat“, was man der Playlist durchaus anhört.

Haydn: Streichquartett C-Dur op. 76/3 „Kaiserquartett“ – 2. Poco adagio
Chiaroscuro Quartett
BIS 2020
Das ist sehr schön. Aber löst das heimatliche Gefühle in mir aus? Ich glaube, Heimat verbinde ich weniger mit Nationalitäten – für mich sind es eher Menschen, die dieses Gefühl auslösen. Ich mag Nationalhymnen – in jeder klingt die erzählte Geschichte eines Landes mit. Ich erinnere mich, dass wir einmal zur Fußball-WM ein Stück arrangiert haben, in dem 32 Nationalhymnen in zweieinhalb Minuten vorkamen. Wenn wir auf Tour sind, bringen wir gern etwas mit, das im jeweiligen Land ein Gefühl von Vertrautheit wecken kann. Keine Hymnen, aber Klänge, die dort tief verwurzelt sind wie zum Beispiel Werke von Sulkhan Tsintsadze aus Georgien oder dem Armenier Komitas Vardapet. Für uns geht es bei unserem neuen Programm „Heimat“ nicht um Abgrenzung, sondern um das, was das Herz weit macht. Das Gefühl von Heimat ist universell – und doch so individuell. Und dieses Streichquartett … Die Musikerinnen des Chiaroscuro Quartett spielen es wunderschön.

Tsintsadze: Miniaturen – Didavoj Nana
Salut Salon
Salut Salon Records 2024
Witzig, dass ich gerade über Tsintsadze gesprochen habe. Ja, das ist eines meiner Lieblingsstücke. Als ich es das erste Mal gehört habe, hat es mich umgehauen, und es haut mich jedes Mal wieder um, wenn ich es höre oder spiele. Es hat eine Leichtigkeit und ist dabei so tiefgründig. Wenn ich das „Deutsche Requiem“ von Brahms höre, weiß ich vorher, dass ich weinen werde. Ich bin ja aber auch Teil dieser Kultur und verstehe den Text. Dieses Lied berührt mich ganz unmittelbar, obwohl mir große Teile der georgischen Kultur nicht so vertraut sind. Musik kann Emotionen ausdrücken, für die es keine Worte gibt. Ich suche ja auch jetzt nach Worten für das, was ich fühle. Aufgewachsen bin ich mit dem westeuropäischen Kanon, den ich sehr schätze, aber jetzt, auf unseren vielen Reisen, genieße ich den musikalischen Austausch und verliebe mich immer wieder neu in unbekannte musikalische Welten. Ich fange dann an zu recherchieren und entdecke spannende Komponistinnen und Komponisten, die bei uns wenig gespielt werden. Dieses Stück haben wir immer direkt nach unserem „Wettstreit zu viert” gespielt. In unseren Programmen steht alles nebeneinander, also auch Melancholisches und Lustiges. Da sehe ich Salut Salon in der Linie früherer Konzerttraditionen, wo zu Bachs Menuetten getanzt und zu Beethovens Musik geklatscht wurde. Da stand eine traurige Arie neben einem zirzensischen Stück von Paganini – es gab immer alle Schattierungen: das Verlangen nach Heimat und Ferne, nach Ankommen und Weiterziehen, Geburt und Tod, Freude und Schmerz, das hat Komponisten zu allen Zeiten beschäftigt

Immigration Blues
David Orlowsky Trio
Sony 2017
Ich höre so einen sandigen Kontrabass. Das Stück klingt wie aus alten Zeiten und aus der Ferne. Ich mag Musik, wenn sie so fluide ist. Die Musiker reagieren so schön aufeinander und ergänzen sich. Sie schnüren nicht so kleine Pakete, sondern schaffen einen großen Bogen. „Immigration Blues“ – tolles Stück.

Piazzolla: Libertango
Quatuor Ébène, Richard Hery (drums)
Warner 2017
Noch ein tolles Stück. Ich komme jetzt jeden Tag. (lacht) Wie am Anfang die Intervalle zusammen gespürt werden und jeder Akkord eine neue Farbe bekommt – als ob er wie bei einer Taufe einen neuen Namen erhält. Dann entwickelt es sich weiter zu diesem Ohrwurm. Es ist nicht nur die Bogentechnik, die das so besonders klingen lässt, so aus der Luft gegriffen. Sie erfühlen die Intervalle und machen dann den nächsten Akkord daraus. Wahnsinn!

Alla Molto Turca
Igudesman & Joo
dB Music Vienna 2016
Lustig. Mozarts „Türkischen Marsch“ haben wir auch gerade im Programm. Diese Version hier klingt nach Pink-Panther-Groove und ist harmonisch cool gemacht mit den Skalen jenseits der westlichen Logik. Unser Arrangement tastet sich auch durch die Landschaft – irgendwo zwischen Wurzel und Überschwang.

Amadeus Alla Turca
Lady Strings
Record Jet 2021
Cool, diese Pause gerade. Es ist schön, wie die Streicher so am Klang kleben und dann wieder tänzerisch werden. Die Fermaten und Pausen setzen sie sehr organisch wie ein Geflecht aus Adern. Ah, die Lady Strings. Wir sind ein Quartett aus zehn Frauen – mit mittlerweile zwölf Kindern. Als die erste von uns schwanger wurde, haben wir uns überlegt, wie wir das zusammen „wuppen“ wollen. Seitdem machen wir Timesharing. Es spielen immer die, die gerade nicht im Kreißsaal liegen, Kita-Eingewöhnung haben – oder zwischendurch auch mal den Mann zu Hause entlasten wollen. Wir nennen das „Rock’n’Roll in Teilzeit“. Wir sind eine richtige Gang, und es macht einen Riesenspaß, so zu arbeiten.

Saint-Saëns: Carnaval des Animaux – Aquarium
Lang Lang, Gina Alice, Gewandhausorchester
Deutsche Grammophon 2024
Kommt jetzt der Haifisch? (lacht) Ich liebe das Stück. Diese Girlanden, die sich so fein um die Melodie legen. Es ist luftig und geerdet zugleich. Gina Alice und Lang Lang interpretieren das sehr schön, ich finde den „Karneval“ insgesamt toll. Wir selbst haben für unser Album „Carnival Fantasy“ auch dieses Stück aufgenommen, ein paar andere Wesen ergänzt, und ich habe den „Schwan“ für singende Säge arrangiert. Ich habe mich oft gefragt, wie Saint-Saëns diese Schichten so transparent und doch ineinander verwoben gestaltet – wie eine innere Kathedrale. Mich fasziniert die Architektur von Musik.

Isländisch Moos
LaLeLu
Conträr Music 2021
Das sind LaLeLu, wir kennen uns seit der Hochschule und sind seitdem befreundet. Ich mag es, wie sie in der Dynamik so viele feine Nuancen entdecken. Das klingt so zart, da schwingt sofort etwas in mir mit. Darum geht es für mich in der Kunst: etwas im Anderen zum Klingen zu bringen – ob mit einer Stimme oder einer Geige, ob mit Musik, Poesie oder Humor.

Schumann: Klavierquartett op. 47 – 4. Finale
Vivace Accardo, Tamestit, Capuçon, Pressler
Deutsche Grammophon 2025
So schön, wie sanft Schumann die Motive fugatisch durch die Instrumente wandern lässt. Wenn ich das höre, ergibt sich sofort eine Verbindung. Musik hat eine unglaubliche, Menschen verbindende Kraft, über alle Sprachen hinweg, das spüren wir immer wieder. Übersetzen müssen wir nur unsere Moderationen – aber niemals die Musik. Egal, wo wir Konzerte geben, versuchen wir immer, auch mit Kindern zu arbeiten. Wir sind so dankbar, dass wir selbst ein Instrument lernen durften, dass wir das auch so vielen Kindern wie möglich ermöglichen wollen. Dabei merken wir immer wieder, wie viel Trost, Spaß und auch Perspektive Musik geben kann.