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Blind gehört Dominik Wagner

„Ich spiele übrigens jetzt seinen Bass“

Kontrabassist Dominik Wagner hört und kommentiert Aufnahmen, ohne dass er weiß, wer spielt.

vonJohann Buddecke,

Voller Erwartung auf die geheime Playlist war Kontrabassist Dominik Wagner fast ein wenig in Sorge, als er in der concerti-Redaktion zum Blind gehört-Interview Platz genommen hatte. Zu viele Aufnahmen seien schlicht unrepräsentativ für sein Instrument, erklärt er und fügt an, dass der Kontrabass auch deshalb von vielen noch immer nicht als vollwertiges Soloinstrument wahrgenommen wird.

Rota: Divertimento Concertante – IV. Finale

Boguslaw Furtok, hr-Sinfonieorchester, Peter Zelienka (Ltg.)
Pan Classics 2016

Ah, Rota! Ich glaube, wir hören hier Boguslaw Furtok mit dem hr-Sinfonieorchester. Der Typ spielt saugeil! Das ist definitiv eine große Hörempfehlung für alle, die sich mit dem Kontrabass beschäftigen wollen. Er legt hier ein ziemlich schnelles Tempo vor und hat diesen kernigen, bissigen Sound. Das Orchester begleitet fantastisch! Viele finden Furtoks Ton zu hell, zu wenig bassig. Wobei im tiefen Register in der Kadenz genügend Tiefen da sind. Das Stück gehört mit zum Besten, was wir in unserem Repertoire haben. Und wir verdanken einem Zufall, dass es überhaupt existiert. Als Nino Rota nämlich in Italien unterrichtete, hatte der Kontrabassspieler Franco Petracchi ein Büro direkt unter ihm. Rota hörte ihn den ganzen Tag spielen und komponierte daraufhin das Konzert. Furtok ist eines meiner großen Idole.

Gubaidulina: Kontrabass-Sonate

Niek de Groot, Catherine Klipfel (Klavier)
Nimbus Alliance 2015

Er oder sie spielt das ziemlich fein. Ein ganz anderer Ton als Furtok im Stück vorher. Vom Sound und der Tongebung her finde ich es sehr gut gelungen. Das Vibrato wird hier sehr schön eingesetzt. Das Stück kenne ich nicht. Ach doch, das ist die Sonate von Sofia Gubaidulina. Moment, dann spielt das Niek de Groot! Ein starker Musiker. Ich habe ihn in letzter Zeit viel gehört, zur Vorbereitung auf ein anderes Stück. Man hört hier sehr gut, dass er einen alten, richtig großen Bass spielt. Überzeugt auf ganzer Linie. Niek de Groot hat viele starke Aufnahmeprojekte gemacht. Das Stück steht auf meiner Liste der Werke, die ich noch lernen muss. Zum Glück haben wir Bassisten diese ­Sonate!

Sperger: Kontrabasskonzert Nr. 4 – III. Rondo

Jan Krigovsky, Colle­gium Wartberg 430
Challenge Classic 2017

Wow, hier hat sich jemand die Mühe gemacht, das Stück auf Darmsaiten einzuspielen, was für Bassisten richtig schwer ist – vor allem wenn es sich um nackte Darmseiten handelt, weil die so dick sind. Es hört sich an wie ein Konzert von Sperger! Er hat achtzehn Stück geschrieben, weshalb ich auch die Nummer gerade nicht parat habe. – Das vierte, sagen Sie? Habe ich tatsächlich noch nie gehört. Die haben hier echt einen Affenzahn drauf. Schön, dass es auch mit der Wiener Stimmung gespielt ist. Da bilden die Saiten je nach Tonart einen Dreiklang. Bei F-Dur stimmt man die untere Seite in C, dann F, A und C. Dadurch sind die Arpeggien toll auszureizen. Die Ansprache der nackten Darmseiten ist mehr als kompliziert. Ich selber könnte es mir solistisch nicht vorstellen, vielleicht im Ensemble. Jetzt bin ich aber gespannt, wer hier spielt. – Jan Krigovsky, den Namen merke ich mir.

J. S. Bach: Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 – II. Corrente

Pierre Boussaguet
Plaza Mayor 2012

Das klingt aber sehr jazzig! Die zweite Bach-Suite, ja? Ich habe keine Ahnung, wer das spielt, aber er macht das wirklich großartig. Allerdings muss man für sowas offen sein. Das Jazztypische hier sind natürlich diese völlig andere Tongebung und die Phrasierungen. Der Ton ist hier richtig juicy. So muss es sein! Ziemlich nah am Ideal. Ich probiere mich manchmal in jazzigen Nummern, würde mich aber nie als Jazzbassist bezeichnen. Ich bin, was die Harmonielehre angeht, nicht so qualifiziert, aber es beeindruckt mich.

Vieuxtemps: Tarantella op. 22/5

Roman Patkoló
Nasswetter Music 2015

Ah, Roman Patkoló. Enormes Tempo! Roman respektiere ich sehr, er ist ein absolutes Genie auf dem Instrument. Hier handelt es sich natürlich um ein Virtuosenstück, ganz klar! Es wurden für Roman eine Reihe großer Werke in Auftrag gegeben, die er ebenso mit einer immensen Technik spielen kann. Roman hat einfach Geschmack! Live nagelt er jeden Ton ohne Ausnahme! Zudem ist er auch menschlich eine ganz tolle Person. Ich glaube nicht, dass es noch jemanden gibt, der so spielen kann wie er. Auf dieser Aufnahme spielt er übrigens auf seinem neuen, sehr kleinen Bass, was man auch hört. Die Saiten sind eine Quarte höher gestimmt. Viele mögen das nicht, weil der Ton dadurch sehr hell ist.

Vanherenthals: Suite Nr. 1 a-Moll – I. Prelude

Shagan Grolier
Pavane Records 2020

Jetzt kommt bestimmt was Schreckliches (lacht). Oh, okay. Schrecklich ist es definitiv nicht. Das Stück kenne ich gar nicht. Ein toller runder Ton und eine unglaubliche Klarheit. Die Phrasierungen sind gut. Handelt es sich um eine umgearbeitete Violin-Partita? Nein? Dann würde ich mich nicht wundern, wenn wir hier ein Originalstück für Bass hören. Jacques Vanherenthals? Habe ich, ehrlich gesagt, noch nie gehört. Es ist tatsächlich für Bass komponiert? Toll! Wer spielt es? Shagan Grolier? Das muss ich mir aufschreiben!

Françaix: Mozart new-look

Ichiro Noda, Bläser Ensemble Mainz, Klaus Rainer Schöll (Ltg.)
Wergo 1999

Ich kenne das Stück nicht, es gefällt mir aber. Jean Françaix? Es ist aber nicht sein Basskonzert, was übrigens komplett unvorteilhaft fürs Instrument geschrieben ist. Ach, „Mozart new-look“. Wirklich undankbar geschrieben!

Saint-Saëns: The Elephant

The London Double Bass Sound
Cala Records 2009

Hier hat man die Tonart um einen Halbton heruntergesetzt. Ich wüsste gerne, wie viele Bassisten hier spielen. Das Stück finde ich eher lustig, muss ich sagen. Elefanten sind eigentlich keine dummen Tiere. Sie sind durchaus majestätisch. Dieses Stück ist eher tollpatschig. Es würde zu einem Nilpferd besser passen (lacht).

Henze: Kontrabasskonzert – III. Ciacona

Daniele Roccato, Orchestra Sinfonica Abruzzese, Tonio Battista (Ltg.)
Wergo 2020

Diese Aufnahme kenne ich nicht. Sehr beeindruckend! Daniele Roccato? Ich glaube, er macht viele zeitgenössische Sachen. Es gibt von ihm auch eine Aufnahme der Gubaidulina-Sonate. Hier steht der Bass tatsächlich gut da! Bei Konzerten geht es natürlich viel um die Orchestration. Der Bass muss zudem immer in den richtigen Registern unterwegs sein, seine Stärke ist das lyrische Moment. Henze setzt die Register leider oft nicht richtig ein, so dass man als Solist nicht wirklich eine Chance hat, ideal rüberzukommen.

Weinberg: Kontrabass-Sonate op. 108 – I. Adagio

Nabil Shehata
cpo 2014

Weinberg. Ziemlich cooles Stück! Das ist Nabil Shehata, richtig? Ich spiele übrigens jetzt seinen Bass. Er hat eine tolle Karriere gemacht, heute dirigiert er ja hauptsächlich. Wobei ich glaube, dass man hier nicht mein Instrument hört. Nabil musiziert in Topform, muss man sagen. Er hat einen Ton, der in Deutschland mit Orchester sehr gut funktionieren kann. Ich selber passe da mittlerweile immer weniger rein, gehe da eher in eine andere Richtung.

Bottesini: Kontrabasskonzert h-Moll – III. Allegro

Wolfgang Harrer, Neue Wiener Solisten, Gert Meditz (Ltg.)
Koch 1992

Das ist natürlich Standard­repertoire für den Bass. Diese Interpretation klingt sehr traditionell, bestimmt eine ältere Aufnahme. Der Stil ist überhaupt nicht mein Fall, ich kann es aber absolut wertschätzen! Toll gemacht, keine Frage. – Ah, Wolfgang Harrer. Meine ersten drei Lehrer waren wie Harrer Schüler von Ludwig Streicher. Ich bin quasi mit diesem Stil aufgewachsen.

Album-Tipp:

Album Cover für Chapters – A Double Bass Story

Chapters – A Double Bass Story

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