„Musik kommt aus der Stille und führt in die Stille“, sagte Alfred Brendel in einem Zeitungsinterview 2014. Zeitlebens scheute er sich nicht, auch einmal ein Konzert zu unterbrechen, wenn ihm zu viel gehustet wurde oder sonstige Nebengeräusche überhandnahmen. Die Stille, das war für den nachdenklichen und philosophischen Musiker die Keimzelle aller Kunst. Nun ist der große Pianist im Alter von 94 Jahren in London gestorben.
Alfred Brendel war nie ein Freund des großen Rampenlichts oder der virtuosen Selbstinszenierung. Technik begriff er als Mittel zum Zweck. Dass er die zahlreichen höchstanspruchsvollen Stellen des klassischen und romantischen Repertoires beherrschte, sie sich immer wieder aufs Neue aneignete, war das Ergebnis zielgerichteter und ökonomischer Arbeit. Das Herunterspielen von Etüden um der Etüde willen, das machte er nie. Für Alfred Brendel stand das Lyrische in der Musik stets an erster Stelle – ob bei Beethoven, dessen 32 Klaviersonaten er in seiner sechzigjährigen Karriere drei Mal ganz unterschiedlich aufnahm oder seinem geliebten Schubert, dessen Musik er für viele in der zweiten Hälfte des Vorjahrhunderts erst ins Bewusstsein holte. Auch bei Mozart setze er Standards, seine Einspielung der 27 Klavierkonzerte gilt vielen bis heute als Referenzaufnahme. Die Wiener Musik hatte es ihm angetan. Gleichwohl nahm er sich schon in frühen Jahren auch den großen, teils sperrigen Solowerken Franz Liszts an, später folgten Arnold Schönbergs Klavierkonzert und Alban Bergs rare Klaviersonate.
Noblesse und Eloquenz
Analytische Schärfe als Grundlage für einen stets warmen Klang, formale Klarheit als Nährboden für emotional tiefgehende Interpretationen, eine exorbitante Kunst, auch im dichtesten Satz die wichtigen Zwischentöne in feinsten Nuancen herauszustellen, das zeichnete Brendels Pianistik aus. So nobel und eloquent wie er spielte keiner. Unterricht bei ihm, das bedeutete vor allem Nachdenken über Musik – so auch der Titel eines seiner zahlreichen musikphilosophischen Bücher. „Er hat nie Vorschläge gemacht, wie man Beethoven spielen und verstehen soll. Seine Kunst liegt darin, dass er einen dazu bringt, eben dies selbst zu tun“, erinnerte sich sein Schüler Paul Lewis vor einigen Jahren.
Alfred Brendel wurde 1931 im mährischen Loučná nad Desnou geboren und verbrachte seine Kindheit zunächst in Zagreb, ab 1943 lebte seine Familie in Graz. Dort gab er als Siebzehnjähriger sein erstes öffentliches Konzert. Künstlerische Impulse erhielt er unter anderem von Edwin Fischer. 1949 brillierte er in Bozen beim Busoni-Wettbewerb – noch ein Komponist als dessen Fürsprecher er sich erwies, obgleich er nur wenige Stücke in sein Repertoire aufnahm. Ein Jahr später übersiedelte er nach Wien, ab 1970 schließlich lebte er in London. Im Dezember 2008 gab er gemeinsam mit den Wiener Philharmoniker sein letztes Konzert. Bis ins hohe Alter meldete er sich indes in Essays und Gesprächen zu Wort. Nun ist seine Stimme für immer verstummt.