Warum weist Carmen eigentlich Don José zurück, der aufrichtige Gefühle für sie hegt und es wirklich ernst mit ihr meint? Ist die Verlockung des fleischgewordenen Testosterons in Gestalt des Toreros Escamillo wirklich so groß, dass Carmen einfach nicht widerstehen kann und sich deshalb für das aufgeplusterte Alphatier entscheidet? Wie auch immer man das verstörende Verhalten dieser modernen Fabrikarbeiterin erklärt – ihr radikaler Freiheitsdrang ist eine Kampfansage an jede bürgerliche Gesellschaft, die dem zwischenmenschlichen Gefühl, der sozialen Bindung einen hohen Stellenwert beimisst. In Carmens Welt regieren Armut, Hässlichkeit, Sex und rohe Gewalt. Von daher darf man sich verwundert fragen, warum im Klischeebild dieses Operndauerbrenners die mit leuchtenden Farben ausgemalten Exotismen dominieren. Kitsch verkauft sich eben doch besser als Kunst und allemal besser als Sozialkritik. Einer, der Theater- und Opernkonventionen auf seine ganz eigene Weise hinterfragt und konterkariert, ist Herbert Fritsch. Wenn der Regisseur seine Figuren grimassierend und hyperventilierend auf der Bühne straucheln lässt, darf gelacht werden.
Bizet: Carmen
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