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Buch-Rezension: Paul MacAlindin – Bis der letzte Ton verklingt

Bewegende Musikmomente

2008 gründete der schottische Dirigent Paul MacAlindin zusammen mit der 17-jährigen Pianistin Zuhal Sultan das irakische Jugendorchester. Nun hat er die Geschichte des Klangkörpers aufgeschrieben

vonNicole Korzonnek,

Wie kommt ein schottischer Dirigent dazu, ausgerechnet im Irak ein Jugendorchester zu gründen und aufzubauen? Durch Zufall! Hätte Paul MacAlindin, der unter anderem beim Scottish Chamber Orchestra, der Royal Philharmonic oder bei der Tonhalle Düsseldorf tätig war, nicht an einem bestimmten Tag eine bestimmte Zeitung aufgeschlagen und einen bestimmten Bericht über die 17-jährige irakische Pianistin Zuhal Sultan gelesen, die auf der Suche nach Musikern war, um gemeinsam eben solch ein Orchester ins Leben rufen, hätte er wahrscheinlich einfach weiterhin sein Leben in Köln genossen.

Projektglücksbringer Internet

MacAlindin zog das musikalische Abenteuer vor – wenn auch zunächst sicher von Deutschland aus. Denn die ersten Kontaktaufnahmen mit Zuhal Sultan fanden via Skype in einem Café statt. Schon da sollte sich zeigen, dass die Organisation schwieriger als gedacht war: Immer wieder fiel im Irak der Strom aus oder das Internet wollte nicht mehr. Chats wurden dadurch einfach unterbrochen. Hinzu kam die von Anfang an schwierige Finanzierung des Projekts. Woher sollte das Geld kommen, um jugendliche Musiker für drei Wochen zusammenzurufen, mit ihnen zu proben und letztlich ein Konzert zu geben?

Überhaupt: Wie sollten diese Musiker eigentlich gefunden werden? Und wer spielt denn noch im Irak klassische Musik? Die Antworten auf beide Fragen sollten sich im Internet finden lassen. So konnte Zuhal Sultan etwa via Twitter Fördergelder generieren und stopfte so das finanzielle Loch, das trotz der Unterstützung des British Councils noch da war. Währenddessen sichtete MacAlindin die ersten Bewerbungen kurdischer und arabischer Musiker – und zwar via YouTube. Von 53 Bewerbern im Alter von 14 bis 28 Jahren wählte der Dirigent 33 Jugendliche aus, um mit ihnen im Sommer 2009 drei Wochen lang in Suleimanija, einer Stadt im kurdischen Teil des Iraks, zu proben.

Clash der Kulturen

Das erste Zusammentreffen der einzelnen Musiker war nicht unproblematisch. Die Kurden sprachen kein Arabisch, die Araber kein Kurdisch, Englisch konnten auch nicht alle. Die Übersetzer waren im Dauereinsatz. Hinzu kamen die kulturellen Unterschiede zwischen Kurden und Arabern. Und dann waren da noch all die weiblichen Orchestermitglieder, die sich ihren Platz teilweise auch erst hart erkämpfen mussten. Mittendrin: MacAlindin, der offen homosexuell lebende Dirigent, der seine sexuelle Gesinnung in der irakischen Öffentlichkeit tunlichst nicht kundtun durfte, um nicht um sein Leben bangen zu müssen. Ein Clash der Kulturen wie aus dem Bilderbuch.

Auch musikalisch mussten viele Hürden gemeistert werden. Die meisten Musiker hatten bis dato etwa noch nie richtigen Instrumentalunterricht. Was sie konnten, haben sie sich via Internet zuvor selbst beigebracht. Dementsprechend defizitär war die Technik. Viele wussten nicht einmal, wie man ein Instrument richtig stimmt. Wobei das Stimmen bei 50 Grad im Schatten meist ohnehin obsolet war. Und auch die Qualität der Instrumente, die bei den Temperaturen und dem unsorgsamen Umgang hohen Belastungen ausgesetzt waren, ließ zu wünschen übrig.

Das irakische Jugendorchester auf dem Höhepunkt

Trotzdem gelang es MacAlindin innerhalb der drei Probenwochen, aus den kulturell höchst unterschiedlichen Menschen ein Orchester zu formen, das sich gegenseitig akzeptierte und miteinander spielte. Das Abschlusskonzert mit Beethovens „Prometheus-Ouvertüre“, Haydns 99. Sinfonie und dem Violinkonzert von Mendelssohn war ein voller Erfolg. Kulturelle Unstimmigkeiten und eine unsichere Finanzierung sollten auch das Sommercamp im Jahr 2010 prägen, das ebenso wie ein Jahr danach in der Ölhochburg Erbil stattfand. Nebenbei knüpfte MacAlindin Kontakte und versuchte, Förderer zu gewinnen. So kam es, dass das irakische Jugendorchester 2011 beim Beethovenfest Bonn und ein Jahr darauf beim Edinburgh Festival zu Gast war, 2013 folgten Auftritte in Aix-en-Provence.

Für das Orchester hätte es nicht besser laufen können. 2014 war nicht nur eine Reise in die USA geplant, wo das Ensemble in der Carnegie Hall auftreten sollte, sondern auch eine offizielle Partnerschaft mit dem Kölner Gürzenich-Orchester. Doch dann kam der IS, rief sein Kalifat aus – und machte alle Pläne zunichte. MacAlindin war am Ende seiner Kräfte und trat als Dirigent beim irakischen Jugendorchester zurück. Seitdem fanden keine Sommerlager mehr im Irak statt. Viele Musiker haben aufgrund des Krieges das Land inzwischen verlassen.

Klassik verbindet

Was sich wie ein gescheitertes Projekt anhört, ist in Wahrheit eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte, wie MacAlindin in seinem Buch über seine Zeit beim irakischen Jugendorchester betont. Denn es hat bewiesen, was klassische Musik alles bewirken kann – und wie sie unterschiedliche Kulturen miteinander verbinden kann.

Es mag sein, dass Paul MacAlindin die Geschichte des Orchesters an einigen Stellen etwas zu ausführlich schildert, aber tatsächlich ist jedes dieser Details davon wichtig. Denn es zeigt die menschliche Seite des Projekts, das ohne jene Menschen niemals hätte realisiert werden können. Es sind letztlich diese ausführlichen und emotionalen Schilderungen MacAlindins, die sein Buch nicht nur musikalisch, sondern auch gesellschaftlich wichtig machen.

Bis der letzte Ton verklingt: Die Geschichte des irakischen Jugendorchesters
Paul MacAlindin
400 Seiten
Heyne

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