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Porträt Münchner Motettenchor

Sänger in der Achterbahn

Seit über fünfzig Jahren probt der Münchner Motettenchor die Vielseitigkeit

vonMaximilian Theiss,

Es gibt Ecken in München, die nutzt man besser nur als Durchgangsorte. Der Sendlinger-Tor-Platz ist solch ein Ort: Autos quälen sich durch die verstopften Hauptstraßen, alle zwei Minuten schlängelt sich laut quietschend eine Trambahn durch, und Fußgänger haben das zweifelhafte Glück, sich ihren Weg durch ein Labyrinth von Ampeln bahnen zu müssen. So übersieht man auch leicht die Matthäuskirche am südlichen Ende des Platzes – die neben St. Lorenz in Nürnberg doch immerhin die zweite evangelische Bischofskirche in Bayern ist. Und in eben dieser „Achterbahn“, wie der geschwungene Fünfzigerjahre-Bau im Volksmund genannt wird, hat mit dem Münchner MotettenChor auch einer der wichtigsten Laienchöre der Landeshauptstadt seinen Sitz.

Ein Klang von nahezu professioneller Qualität 

Einen wahrlich „riesenhaften“ Sitz: Wer im Gemeindesaal bei einer Probe vorbeischaut, staunt denn auch erst einmal ob der gewaltigen Dimensionen. An der Vorderwand befindet sich eine beeindruckende Glasfront, an der Rückseite führt der Weg direkt in den Kirchraum – und obwohl hier mehr als achtzig Sänger proben, hätten locker noch einmal so viele Musiker Platz. Mag die Akustik durch die hohe Decke auch nicht die beste sein, Chorleiter Benedikt Haag achtet auf jede noch so kleine Unsauberkeit im Ensembleklang. Und so ist nicht zuletzt bei den A-cappella-Gesängen zu hören, wie gering der Abstand zu den professionellen Chören ist – so denn überhaupt noch ein Unterschied auszumachen ist.

Als eigenständiger Verein agiert der Motettenchor zwar losgelöst von der Gemeinde, doch nicht nur örtlich, sondern auch musikalisch sieht sich das Ensemble dem Klerikalen verbunden. So finden in St. Matthäus an mehreren Freitagen im Jahr die A-cappella-Konzerte der Reihe „Münchner Motette“ statt, und auch an Gottesdiensten wirkt die Sängerschar mit. Einsätze, die sich zweifellos auf den Gesamtklang auswirkten, sagt Chorvorstand Iris Lauterbach: „Bei den Gottesdienst-Konzerten herrscht immer eine gewisse Empfindsamkeit, eine Innigkeit – und zwar unabhängig davon, ob man nun gläubig ist oder nicht. Ich erinnere mich etwa an Bachs h-Moll-Messe in liturgischem Kontext: Da habe ich auf einmal das Stück ganz anders verstanden.“

Geprägt hat den Chor indes auch die Vielzahl der weltlichen Auftritte. So feierten die Mitglieder vor einigen Jahren Weihnachten bei vierzig Grad im Schatten in Brasilien oder traten in Tel Aviv auf – nicht zu vergessen der Festakt zum 100. Geburtstag von Carl Orff, als Sängerinnen und Sänger 1995 die Carmina Burana auf dem Marienplatz vor über 10 000 Zuschauern aufführten! Wobei es schon überrascht, dass der Klangkörper in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einer der tragenden Säulen in der Münchner Chorszene avanciert ist: Eigentlich hatte der Musikprofessor und Komponist Hans Rudolf Zöbeley nämlich 1960 mit seinen Studenten lediglich ein paar Motetten zu Vorlesungszwecken einstudieren wollen.

Vom studentischen Chor zum vielseitigen Ensemble

Doch diese Seminare fanden reichlich Anklang, der Chor wuchs und nahm mit der Zeit auch Mitglieder aus dem nicht-akademischen Leben auf. 38 Jahre später übergab Zöbeley seinen mittlerweile international bekannten Chor an Hayko Siemens. Unter ihm wandelte sich dann auch die ursprüngliche Zielsetzung: Musik des 15. bis 17. Jahrhunderts zu interpretieren – heute gibt es keine Epoche und kein Genre mehr, mit deren Werken sich der Chor nicht befassen würde. Ja, fast ließe sich behaupten: Das Spezialgebiet des Ensembles ist die bedingungslose Vielseitigkeit.

Was dem Chor wohl auch geholfen hat, jene kritische Zeit zu überstehen, als sich die Sänger vor gut einem Jahr nach einer Reihe von Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen von Siemens trennten und den damaligen Assistenten und Stimmbildner Benedikt Haag zum kommissarischen Künstlerischen Leiter beriefen. Letzterer wirkt trotz seines jungen Alters – erst im Sommer gab er mit dem Motettenchor sein Diplomkonzert – erstaunlich geerdet. Seine musikalischen Ziele und Träume? Haag zögert einen Moment: Ziele zu haben, antwortet er dann, bedeute, von unten nach oben zu sehen – doch genau das wolle er nicht. „Vielmehr möchte ich das hohe Niveau hier halten. Und vielleicht den Chor noch deutlicher positionieren als einen der großen Konzertchöre, der er zweifellos ist.“

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