Einen wie Richard Strauss muss man nicht erst neu ins Musikleben der Gegenwart ziehen – er ist selbstverständlicher Teil davon. Davon ist Brigitte Fassbaender überzeugt. „Seit ich meine Karriere begonnen habe, ist die Begeisterung des Publikums für Strauss völlig gleich geblieben. Seine Opern sind international etabliert, da hat sich überhaupt nichts geändert.“ Dennoch präsentiert die Mezzosopranistin und einstige passionierte Strauss-Sängerin zum 150. Geburtstag des Komponisten durchaus unbekannte Aspekte des Strausschen Œuvres – als Leiterin des Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirchen.
Magisch: Strauss‘ Lieder umfassen alles, was seine Musik ausmacht
Eine neue Gesamtaufnahme des Liedschaffens wird Brigitte Fassbaender zum Auftakt des Festivals am 11. Juni präsentieren, sie bezeichnet sie als „mein persönliches Geburtstagsgeschenk an Richard Strauss“. Mit dreizehn Sängern, vier Begleitern und vier weiteren Instrumentalisten wurden die insgesamt 179 Lieder im Vorfeld des Festivals eingespielt. „Man kennt ja nur die wenigsten Lieder von Strauss“, sagt Fassbaender. Zu den berühmtesten gehören die aus Opus 10, welche Strauss bereits als 21-Jähriger in seiner Heimatstadt München schrieb und die mit der Zueignung beginnen – ein Lied, das mit seinem stürmischen Gestus, seinem leidenschaftlichen Ausdruck und seinem vollgriffigen, harmonisch reichen Klaviersatz eine Menge des Strausschen Gesamtwerks vorwegnimmt. „Lieder von Strauss fordern die Sänger“, sagt Brigitte Fassbaender. „Er hat das Lied aus der Hausmusik herausgeholt und für den großen Konzertsaal tauglich gemacht.“
Entsprechend sind auch die Erfahrungen der jüngeren Sängergeneration. Die Sopranistin Christiane Karg etwa hat für das Label Berlin Classics gerade 24 Lieder aufgenommen. „Strauss-Lieder haben einen großen Ambitus, und er fordert vom Sänger auch einen großen Gestus. Bei Strauss hört man es sofort, ob jemand eine gute Gesangstechnik hat.“ Die meisten seiner frühen Lieder – und Strauss schrieb den Großteil in seiner ersten Lebenshälfte – waren für seine Frau Pauline gedacht, eine hervorragende Opernsängerin. „Lieder wie Das Rosenband oder Morgen kann man ohne ausgebildete Stimme kaum singen“, glaubt Christiane Karg. „Die vielen leisen Töne in der Höhe, das ist sehr schwierig.“
Für Brigitte Fassbaender als Opernsängerin war namentlich die Hosenrolle des Octavian in den 1960er Jahren ein Markstein ihrer Karriere und eine ihrer größten Herausforderungen, auch darstellerisch. „Eine Frau muss einen jungen Mann spielen, der sich wiederum als Frau verkleidet. Diese Travestie ist immer sehr interessant, das ging wohl von dem Dichter Hugo von Hofmannsthal aus.“
Opportun? Richard Strauss‘ Ehrgeiz kannte wenig Grenzen
Lange nach dem Ende ihrer Sängerlaufbahn tritt Brigitte Fassbaender nun für die von ihr organisierte Lied-Gesamtaufnahme nochmal als Interpretin in Erscheinung – wenn auch nicht singend. Die fast völlig vergessenen Werke Das Schloss am Meere und Enoch Arden hat Fassbaender als Sprecherin aufgenommen. Es sind sogenannte Melodramen, deklamierte Balladen, begleitet vom Klavier. So unbekannt diese eigentümlichen Werke sind, so eng stehen sie mit der Biographie des aufstrebenden, karrierebewussten jungen Komponisten in Verbindung: Strauss schrieb die Werke für den Münchner Hoftheater-Intendanten Ernst von Possart, einen altgedienten Hoftheaterschauspieler, um von ihm den Auftrag für die Komposition einer neuen Oper in München zu ergattern.
Strauss’ Karrierebewusstsein bereitet Musikforschern und Publikum heute zuweilen Kopfzerbrechen – besonders an einer späteren Station seiner Biographie. Mit seinem altgedienten Sinn für die Sicherung der eigenen Pfründe unter neuen politischen Vorzeichen, aber wenig Sinn für den verbrecherischen Charakter des Nazi-Regimes ließ sich Richard Strauss 1933 zum Präsidenten der neuen Reichsmusikkammer ernennen, einem Gleichschaltungsinstrument des Dritten Reichs für Musiker. Mit ebensolcher Naivität allerdings tat sich der Komponist bald danach mit dem jüdischen Textdichter Stefan Zweig zusammen und fiel bei den Nazis in Ungnade. Für den Dirigenten Stefan Soltesz ist dies zusammengenommen ein Indiz dafür, dass Strauss, „ein durch und durch unpolitischer Mensch gewesen ist“.
Trotz mancher Dissonanzen: Strauss war kein Revolutionär
Dass Strauss als Bürger in der Kaiserzeit stehengeblieben sei, sagt Soltesz, gelte auch für seine Musik. „Er war kein Erneuerer, er war ein typisches Produkt seiner Zeit, des Wilhelminismus.“ Für viele Musik-Fachleute des beginnenden 20. Jahrhunderts, die Strauss für die mutig eingesetzten Dissonanzen in seinen Opern Salome und Elektra zu einem Avantgardisten hochjubelten, mag dies eine Enttäuschung gewesen sein. Doch tatsächlich sind die berühmten Dissonanzen, die Strauss im Jahr 1909 Elektras hinterhältiger Mutter Klytämnestra unterlegt, wohl vor allem als hässliche Musik für einen hässlichen Charakter und nicht als musikalische Revolution gedacht.
Riesiges Orchester: Nicht für Lautstärke, sondern differenzierten Klang
Für Stefan Soltesz ist Strauss vor allem ein unnachahmlicher Beherrscher der in der späten Kaiserzeit üblichen riesigen Orchesterapparate. „Es ging ihm dabei aber nicht nur um Lautstärke. Wie fachmännisch und überlegt und auf den Punkt genau er seine Instrumente einsetzt, das fasziniert mich als Dirigenten unglaublich“, sagt Soltesz, der als äußerst erfahrener Strauss-Dirigent gilt und zuletzt kurzfristig für die Leitung der Elektra in Warschau eingesprungen ist.
Ein Werk wiederum, welches Brigitte Fassbaender als Regisseurin besonders gerne inszeniert, ist Salome – im Jahr 1906 Strauss’ triumphaler Durchbruch als Opernkomponist. „Die Rollen bei Strauss haben immer eine äußerste psychologische Tiefenschärfe. Den Charakter der Salome verständlich zu machen, ist eine große Aufgabe: in seiner ekstatischen Leidenschaft, die aber doch gebändigt wird durch eine ungeheure Anteilnahme, die sie eigentlich für Jochanaan hegt. Für mich ist das eine der größten Opern überhaupt.“
Auch wenn Strauss’ Salome nach dem Drama von Oscar Wilde gleich nach ihrer Uraufführung in Dresden 1906 ein unerhörter Kassenschlager war, sah dies die etablierte Musikwelt des beginnenden 20. Jahrhunderts noch nicht so. Gerade Kaiser Wilhelm II. war von der blutig-erotischen Tragödie inklusive Enthauptung Johannes des Täufers wenig angetan. „Unglaublich schaden“ werde sich Strauss mit dieser Oper, so meinte der Kaiser. „Von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen“, so bemerkte der stets einkommensbewusst arbeitende Komponist Jahrzehnte später süffisant. In der Garmischer Villa sollte Richard Strauss sein ganzes weiteres Leben verbringen, mehr als 40 Jahre bis zum Tod im Jahr 1949. Seine Frau Pauline starb hier acht Monate nach ihm. Heute ist dieser Ort in Garmisch-Partenkirchen das Zentrum der weltweiten Richard-Strauss-Pflege und auch Mittelpunkt des Richard-Strauss-Jubiläums 2014.
Die CD-, DVD-, und Buch-Tipps der concerti-Redaktion zum Jubiläum:
Sämtliche Werke für Stimme & Klavier
Juliane Banse, Markus Eiche, Brigitte Fassbaender, Manuel Walser u.a.
TwoPianists Records/Richard Strauss Institute (9 CDs)
Ausgewählte Lieder
Christiane Karg (Sopran), Malcolm Martineau (Klavier)
Berlin Classics
Sämtliche Orchesterwerke
Staatskapelle Dresden, Ulf Hoescher, Paul Tortelier, Peter Damm, Malcolm Frager, Peter Rösel, Rudolf Kempe. Warner Classics (9 CDs)
Fritz Reiner conducts Richard Strauss
Inge Borkh, Paul Schöffel, Wiener Philharmoniker, Chicago Symphony Orchestra u.a. RCA Records (11 CDs)
The other Strauss
Felicity Lott, Vadim Repin, Mstislav Rostropovich, Dresdner Philharmonie, Wolfgang Sawallisch u.a. Warner Classics (3 CDs)
Sonatinen für Bläser Nr. 1 & 2
Armonia Ensemble. Berlin Classics
Der Rosenkavalier
Brigitte Fassbaender, Lucia Popp, Karl Ridderbusch, Staatsopernchor & Staatsorchester, Carlos Kleiber. Orfeo (3 SACDs)
Vier letzte Lieder
Jessye Norman, Gewandhausorchester Leipzig, Kurt Masur. Philips
Die Frau ohne Schatten
Birgit Nilsson, Lotte Rysanek, Ruth Hesse, James King, Walter Berry, Karl Böhm u.a. Deutsche Grammophon (3 CDs)
Elektra
Evelyn Herlitzius, Anne Schwanewilms, Waltraud Meier, Rene Pape, Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann. Deutsche Grammophon (2 CDs)
Chorwerke
Iwona Sobotka, Christa Mayer, Dominik Wortig, Konrad Jarnot, Michael Gläser, Rundfunkchor Berlin. Coviello
Strauss: „Die Zeit, die ist ein sonderbar‘ Ding“ (Hörbiografie und Briefe)
Gert Heidenreich, Alexander Duda, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Franz Welser-Möst. BR-Klassik (3 CDs)
The Richard Strauss Collection
Brigitte Fassbaender, Renée Fleming, Claudio Abbado u.a. Arthaus (11 DVDs)
Elektra
Evelyn Herlitzius, Waltraud Meier, Adrianne Pieczonka, Mikhail Petrenko, Tom Randle, Orchestre de Paris, Esa-Pekka Salonen, Patrice Chereau. Festival Aix en Provence 2013. BelAir (DVD)
Bryan Gilliam: Richard Strauss (Magier der Töne): eine Biographie
234 Seiten & 18 Abbildungen
C.H. Beck