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Essay Elmar Lampson

„Ein Konzert ist ein Konzert ist ein Konzert“

Studenten sollten nicht nur zu guten Musikern, sondern auch zu exzellenten Vermittlern ausgebildet werden

vonElmar Lampson,

Wird über die Notwendigkeit neuer Konzertformate gestritten, beginnen die Gespräche oft mit der Bemerkung, wie unbefriedigend und wenig inspirierend der Begriff „Musikvermittlung“ doch sei. Schnell wird deutlich, dass er ein weites Feld umfasst und schwer einzugrenzen ist. Die Diskussionen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen der Überzeugung, dass die beste Musikvermittlerin immer noch die Musik selbst sei, und dem Verweis auf die Defizite des gegenwärtigen Musiklebens, zu deren Behebung Musikvermittlung beitragen soll. Ich werde einige Gedanken zu diesen Themen aus der Perspektive der zukünftigen Konzertmusiker skizzieren, wohl wissend, wie unvollständig das alles ohne Berücksichtigung des für das Thema Musikvermittlung so entscheidenden Feldes der Musikpädagogik und der Schulmusik ist.

Musikhochschulen spielen in diesem Feld eine gewichtige Rolle. Hier kommen hochbegabte junge Menschen an, für die Musik der Mittelpunkt des Lebens ist und deren primäres Ziel es ist, „auf dem Instrument gut zu werden“. In der Ausbildung geht es zunächst darum, die technischen Fähigkeiten so weiterzuentwickeln, dass das Instrumentalspiel, soweit es irgend geht, zu einer zweiten Natur wird, und mit derselben Selbstverständlichkeit funktioniert, mit der ich laufe, eine Tasse zum Mund führe oder Fahrrad fahre. Parallel zum technischen Erlernen des Instruments wächst die innere Musikalität und die eigene Ausdrucksfähigkeit. Welch rätselhafte Herausforderung, einen gegebenen musikalischen Text so zu durchdringen, dass in seiner möglichst vollkommenen Wiedergabe die persönlichsten Empfindungen mitschwingen, die Leidenschaft und das Temperament des Spielers entfesselt werden und dass dennoch im Ergebnis Beethoven, Dvořák oder Liszt zum Ausdruck kommen.

Der magische Vorgang des Musizierens ist damit nur angerissen, aber es wird verständlich sein, dass jemand, der eine Bühne betritt, nicht als erstes an ein Vermittlungskonzept denkt, sondern an einen stillen und gespannten Hörraum, an ein durch die Aufmerksamkeit der Hörer um ein Vielfaches gesteigertes „Jetzt“, auf das er hingelebt und geübt hat. In dieser Situation müssen der Weg auf das Podium, der aufbrausende Applaus und die Verbeugung keine leeren Rituale sein, sondern können auch Ausdruck einer freudigen, erregten und respektvollen ersten Begegnung in Erwartung einer kostbaren gemeinsamen Zeit sein, wie ein Händedruck, eine Umarmung oder ein Kuss.

Impulse für das Konzertleben der Zukunft können aus den Hochschulen kommen

Aber bedeutet der Verweis auf dieses aufgeladene Jetzt, auf diesen ausgesparten, nur der Musik vorbehaltenen Hörraum, dass es nur eine mögliche Form des Konzertes geben kann, vor der man in Ehrfurcht erstarren muss, und dass Musikvermittlung folglich überflüssig ist? Aus meiner Sicht ist das Gegenteil der Fall. Aber ich meine, dass dieser beschriebene magische Vorgang eine Wertigkeit in sich besitzt, und möchte ins Bewusstsein rufen, wie fragil und unter Umständen auch widerständig, wie anstrengend und herausfordernd das sein kann, was es zu vermitteln gilt. 

Eine Musikhochschule hat die Chance, zu einem Ort zu werden, an dem exemplarisch gezeigt wird, wie ein sich in Entwicklung befindliches Musikleben aussehen kann. Hier werden neue Ideen und Veranstaltungsformate entwickelt, hier wird erforscht und erprobt, welche gesellschaftlichen Impulse von Musik ausgehen können. Die Konzerthäuser werden es auf die Dauer schwer haben, ihr Publikum zu finden, wenn die Kultur des Musikhörens nicht Teil der allgemeinen Kultur wird. Ihre zahlreichen ausgezeichneten Musikvermittlungsaktivitäten werden das Problem nicht allein lösen können. Dazu ist das Beharrungsvermögen vieler Konzerthäuser immer noch zu groß, die Strukturen der Orchester zu wenig durchlässig und das Bewusstsein noch zu ausgeprägt, das da sagt: „Ein Konzert ist ein Konzert ist ein Konzert.“ An der Musikhochschule hingegen können wir Ideen für die Musikalisierung der unterschiedlichsten Lebensbereiche entwickeln und uns beispielsweise fragen, wie die Musikkultur einer Autofirma, eines Krankenhauses, einer Schule, einer Universität oder einer Behörde aussehen kann. Alle Lebensbereiche brauchen Musik, alle haben grundsätzlich die Möglichkeit, musikalische Veranstaltungen in ihr Leben zu integrieren – und gerade die jungen Musiker sind herausgefordert, Ideen dafür zu entwickeln!

Grenzen zwischen Musikern und Publikum aufbrechen

Letztlich geht es um eine Neupositionierung der europäischen Musikkultur in der sich rapide verändernden allgemeinen Kultur. Vielleicht wird Musikvermittlung einmal zu einer eigenen Kunstform, in der Musikvermittler und Musiker so zusammenarbeiten wie Dirigenten und Opernregisseure und gemeinsam dazu beitragen, den Konzerthäusern ein großes musikalisiertes Umfeld zu schaffen. Ich sehe eine riesige Chance und eine dringliche Aufgabe der Musikhochschulen darin, möglichst viele gerade der zukünftigen Spitzenmusiker dazu anzuregen, Konzepte für das Konzert der Zukunft zu erfinden und zu erproben. Wie groß der Ideenreichtum der kommenden Musikergeneration in der Tat ist, macht mir Mut: Die im Rahmen des – von unserem Career Center entwickelten – Masefield-Wettbewerbs von der Alfred Toepfer Stiftung prämierten Ansätze unserer Studierenden, darunter der „Club der freien Zuhörer“ des jungen Pianisten Daniel Gerzenberg, stellen Regeln und Rituale in Frage und suchen immer wieder nach einem neuen, Grenzen brechenden persönlichen Verhältnis zwischen Künstlern und Publikum.

Wie spricht man das Publikum der Zukunft an? 

 

concerti-Redakteurin Friederike Holm diskutiert über Innovationen im Konzertleben.

Auf den Inhalt komme es an, meint der Intendant der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern Markus Fein.

Benedikt Stampa, Intendant des Konzerthauses Dortmund, setzt auf provokantes Marketing.

Form Follows Function: „Wir müssen kreativere Formen erschaffen, damit klassische Musik weiterhin ein Publikum findet“, fordert Folkert Uhde.

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