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Porträt Benjamin Alard

Die Evolution verstehen

Der französische Cembalist und Organist Benjamin Alard spielt Bachs sämtliche Werke für Tasteninstrumente ein.

vonHelge Birkelbach,

Er ist die Ruhe in Person. Höflich, zugewandt, jedes Wort bedächtig abwägend, nimmt sich Benjamin Alard viel Zeit für ein ausführliches Gespräch. Denn das Projekt, das ihn seit 2018 beschäftigt, ist so umfangreich wie auch ambitioniert. Neben seiner regen Konzerttätigkeit, unter anderem bei den Händelfestspielen Halle und dem Bachfest Leipzig, spielt der wagemutige Künstler alle Werke Johann Sebastian Bachs für Tasteninstrumente ein, also auf der Orgel, dem Cembalo und dem Clavichord – und das in chronologischer Reihenfolge. „Für mich war es sehr wichtig, sozusagen Bachs Leben mitzufühlen, um seine musikalische Evolution zu verstehen“, erklärt der Franzose, der seit 2005 als Organist an der Aubertin-Orgel zu St-Louis-en-l’Île in Paris wirkt. „Wenn man gleich mit den ‚Goldberg-Variationen‘ anfängt, diesem sehr durchdachten und erwachsenen Werk, überrumpelt man das Publikum. Ich fange mit dem ‚Young Bach‘ an, um das Gesamtwerk besser verstehen zu können und das Publikum auf die große Reise Schritt für Schritt mitzunehmen.“

Benjamin Alard hat die nächsten Projekte schon im Blick
Benjamin Alard hat die nächsten Projekte schon im Blick

Intime Hausmusik

Aber der 1985 in Rouen geborene Organist und Cembalist, der 2004 den ersten Preis beim Internationalen Cembalowettbewerb in Brügge gewann, hat nicht nur Werke des Großmeisters versammelt, sondern ergänzt dessen umfangreichen Katalog um Stücke von Zeitgenossen wie Johann Pachelbel oder François Couperin. Um das Jahr 2030 wird das Projekt abgeschlossen sein, ungefähr 60 Stunden Musik werden schließlich vorliegen, schätzt Alard.

Kürzlich erschienen ist Vol. 10. Neben dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach sind dort die sechs Triosonaten (BWV 525–530) enthalten, die der Musiker auf dem Pedalcembalo und dem Clavichord eingespielt hat. Bekannter sind sie in der Einrichtung für Orgel. Warum der Wechsel auf das eher intimere Instrumentarium? „Zum einen habe ich die Triosonaten vor einigen Jahren bereits auf der Orgel eingespielt und ich wollte etwas Neues machen. Denn darum geht es ja immer in der Kunst: experimentieren, Entdeckungen machen und lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen. Zum anderen wollte ich den Charakter der Hausmusik, den wir beim Notenbüchlein  eingefangen haben, auch bei den Sonaten lebendig werden lassen. Die Aufnahme entstand in einem kleinen Salon im Musée de Provins et du Provinois, östlich von Paris.“ Tatsächlich ist das Musikerlebnis frappierend. Die Akustik ist so eingefangen, als säße man in unmittelbarer Nähe der Aufführenden. Man riecht förmlich den barocken Parkettboden.

Ein Leben nach Bach mit Bach

Was aber kommt danach? Gibt es ein Leben nach Bach? „Aber gewiss!“, antwortet Alard lächelnd. „Es gibt ein Leben nach Bach mit Bach. Nämlich mit Musikern wie Mendelssohn oder Brahms, die ihn verehrten und seine Ideen aufgriffen. Das könnte ein nächstes Aufnahmeprojekt sein.“ Und es gibt noch einen weiteren Komponisten, der es ihm angetan hat: Manuel de Falla. Das überrascht zunächst; jedoch findet sich im Werk des Spaniers durchgehend ein tänzerischer Moment, der einem Bachkenner gewiss nicht fremd ist. „Vor etwa zwei Jahren habe ich in Granada das neoklassizistische Cembalokonzert von de Falla studiert. Ich habe mich sofort in dieses Stück verliebt! Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich de Falla sehr nahe.“

Es ist charmant, wie der Franzose bei diesen Worten aufblüht. Eine zweite Jugend?  Alles auf Anfang, damit hat Benjamin Alard bisher reichlich Punkte gesammelt. Unter anderem einen Diapason d’or für den ersten Teil von „Das Wohltemperierte Klavier“. Weiter so!, mag man ihm zurufen.

Aktuelles Album:

Album Cover für J. S. Bach: Sämtliche Werke für Tasteninstrumente Vol. 10

J. S. Bach: Sämtliche Werke für Tasteninstrumente Vol. 10

Benjamin Alard (Cembalo & Clavichord). harmonia mundi

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