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Porträt Anna Handler

Selbstbewusste Demut

Die deutsch-kolumbianische Dirigentin Anna Handler wird als Kapellmeisterin an der Deutschen Oper Berlin vorübergehend sesshaft.

vonSusanne Bánhidai,

Sie wartet noch auf den Kühlschrank. Es hallt ein wenig in ihrer ersten eigenen Wohnung in Berlin-Schöneberg, aber bald wird sie hier ihre – wohl spärliche – ruhige Zeit verbringen. Anna Handlers Leben ist zur Zeit gut gefüllt: mit Musik, was sonst. Für ihr Alter hat ihre Laufbahn jedoch schon viele Facetten. Sie „nur“ als Dirigentin zu bezeichnen, würde ihr nicht gerecht, wobei der Wunsch, ja der Drang zu dirigieren, schon früh in ihr angelegt war. Zunächst bemerkten sie und andere ihre intuitive Gestik, ihre körperliche Wahrnehmung von Klang. Die Familie förderte ihr musikalisches Talent, das Pestalozzi-Gymnasium in München ebnete ihr den Weg als professionelle Musikerin.

Ein Kurs für Ensembleleitung, den sie mit fünfzehn Jahren besuchte, wurde zur Initialzündung für das Erlernen dieser sehr besonderen Kunst, die sie selbst als magisch bezeichnet. Man empfahl ihr, weiterzumachen. Sie konnte Kirill Petrenko und Vladimir Jurowski über die Schulter schauen, studierte jedoch zunächst Klavier an der Hochschule für Musik und Theater München. In Weimar legte sie den Grundstock für ihre dirigentische Ausbildung, bis sie ein Stipendium an die Juilliard School in New York und anschließend als „Dudamel Fellow“ zum Los Angeles Philharmonic Orchestra brachte.

Dankbarkeit zum Ausdruck bringen

Ihre Vorbilder sind ebenso charismatisch wie sie selbst: Leonard Bernstein, der mit seinen „Young People’s Concerts“ Maßstäbe setzte, Andris Nelsons, der mit seinen beiden Orchestern eine deutsch-amerikalische Verbindung lebt, Joana Mallwitz, die mit den „Expeditionskonzerten“ den Kontakt zum Publikum pflegt, und Gustavo Dudamel mit seinem Engagement in El Sistema. Was sie fasziniert, sind – neben musikalischer Exzellenz – außermusikalische Aufträge. Dort sieht sie sich auch selbst. „Ich bin mit zwei unterschiedlichen Mentalitäten aufgewachsen und habe in Südamerika schon früh soziale Ungleichheit gesehen. Durch meine katholische Prägung bestimmt Dankbarkeit mein Leben, und ich spüre einen Antrieb, etwas in der Gesellschaft zu verändern.“

Der Kühlschrank wird wohl mindestens zwei Jahre an seinem Ort bleiben, so lange ist sie an der Deutschen Oper engagiert. „Das Orchester hat mich gefunden. Ich hatte keine Erwartungen beim Vordirigat und jede Menge Spaß. Ich freue mich auf alle Menschen an diesem Haus und die gemeinsamen Projekte.“ Beschreibt sie ihren Führungsstil, steht das lebenslange Lernen im Vordergrund. Sie möchte eine Führungskraft werden, die sich ständig weiterentwickelt, verschiedene Meinungen wertschätzt, aber auch Effizienz verantwortet. „Man kann so gut vorbereitet sein, wie man will, am Ende kommt es darauf an, ob das Orchester dein ,Warum‘ teilt. Die Vision, die ich im Kopf habe, soll nicht nur eine Befolgung, sondern eine Verlebendigung sein.“

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Oper als die beste Plattform, menschliche Gefühle zum Klingen zu bringen

In der Richard-Wagner-Straße wird sie ihr Opern-Repertoire aufbauen, denn Oper ist für sie eine Kunstform, die wie kaum eine andere zeigt, was im Menschen vorgeht. Allerdings hat sie noch weitere Betätigungsfelder, der sie sich trotz des hohen Pensums als Kapellmeisterin zuwendet. Zum Beispiel wird sie ihrer „Play and conduct“-Leidenschaft frönen oder als Kammermusik-Duo zusammen mit ihrer Schwester Laura an der Geige auftreten. Mit ihrem Ensemble Enigma Classica ergründet sie nicht nur Orchesterlandschaften, sondern erforscht neue Wege der KI-gesteuerten Musikvermittlung. „Da habe ich viele verrückte Ideen!“

So kann sie in selbstbewusster Demut offen bleiben für die Zeit nach Berlin: „Wie ein Pfarrer, der in die Gemeinde geht, wo er am meisten gebraucht wird, werde ich meinen Platz in der Musikwelt finden.“

Ihr Debut in Salzburg hat sie bereits hinter sich, das in der Elbphilharmonie mit Jonathan Tetelman steht noch bevor. In der Disney Concert Hall und in Boston wird sie eine Abo-Reihe dirigieren. Aber aus reinen Statusgründen nimmt sie keine Herausforderungen an. Dennoch: „Ein Tristan in Bayreuth in zehn Jahren, das wäre schon toll.“

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