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Porträt Ælbgut

Auf der Stuhlkante

Wie das Dresdner Solistenensemble Ælbgut in künstlerisch schweren Zeiten die Herzen der Kritiker, Veranstalter und Zuhörer eroberte.

vonChristian Schmidt,

Zugegeben – dem ersten Eindruck nach weckt dieser Name eher Assoziationen mit einer verwunschenen Biolandwirtschaft im ländlichen Sachsen: Doch Ælbgut mit der recht artifiziell wirkenden Ligatur soll eher an Christian Dedekinds „Ælbianische Musenlust“ von 1657 erinnern. Der Dichter, Komponist und zugleich Steuereintreiber war mit Heinrich Schütz bekannt, wirkte als Bassist in der Sächsischen Hofkapelle und vertonte in seiner „Musenlust“ Gedichte unterschiedlichster Barockpoeten für die menschliche Stimme.

Was etwas weit hergeholt anmuten mag, beschreibt dennoch den Anspruch des in Dresden ansässigen Vokalensembles: Den drei jungen Mitgliedern – Altus Stefan Kunath, Sopranistin Isabel und Bariton Martin Schicketanz – ist nicht nur die barocke Sprache sehr nah, sondern sie werden auch für deren musikalische Ausdeutung weithin gerühmt. 2018 gegründet, also kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, konnte das Spezialensemble schon mit seiner ersten Aufnahme – Bachs „Johannes-Passion“ in solistischer Besetzung – den Opus Klassik für die „Chorwerkeinspielung des Jahres“ einheimsen.

Bewährungsprobe: Leipziger Bachfest

Prompt wurde das Leipziger Bachfest aufmerksam und lud mitten in der Pandemie zur h-Moll-Messe ohne Publikum ein: Zu einem Dutzend Instrumentalisten kamen gerade mal fünf Sänger – für manche Projekte holt sich Ælbgut feste Gäste. „Wir hatten auch ein bisschen Glück, denn zeitgleich mit unserer ,Johannes-Passion‘ waren zwei traditionelle Aufnahmen mit Chor und Barockorchester von Philippe Herreweghe und Hans-Christoph Rademann erschienen, so dass immer alle drei in einem Rutsch rezensiert wurden“, erinnert sich Martin Schicketanz. Schnell folgten weitere Aufnahmen. Die aktuelle mit Telemanns, Graupners und Bachs Bewerbungskantaten um das Thomaskantorat 1723 bekam sogleich den Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik: Die Interpretation sei „das Beste, was auf diesem Gebiet seit Langem erschienen ist“.

Für ihre musikalischen Interpretationen gerühmt: das Ensemble Ælbgut
Für ihre musikalischen Interpretationen gerühmt: das Ensemble Ælbgut

Die richtigen Fragen an Werke stellen

Ausgestattet mit solcherlei Lorbeeren, gebricht es den Ælbgütlern berechtigterweise nicht an Selbstbewusstsein. „Mag die Pandemie für alle ein herber Schlag gewesen sein, konnten wir als Ensemble davon profitieren, dass sich der Fokus der Festivals auf richtig gute heimische Musiker gerichtet hat“, sagt Schicketanz. Wie bei seinen beiden Kollegen auch, die alle zusammen an der Dresdner Musikhochschule studierten, deckt der Ensemblegesang gleichwohl nicht die Lebenshaltung: „Das ist eine Mischkalkulation, und wir sind auch als Einzelsänger in vielen Konzerten unterwegs.“

Herauszufinden, was Ælbgut nun so abheben mag von den anderen Spezial­ensembles, ist gar nicht so schwierig. „Vor allem in Bezug auf die Einheit von Text und Musik treibt uns ein hoher Qualitätsanspruch dazu, auch Stücke, die man vermeintlich schon kennt, nochmal neu zu befragen“, erklärt Martin Schicketanz. „Wir singen ein großes Werk nicht solistisch, um anders zu sein, sondern weil wir es kammermusikalisch auf der Stuhlkante machen wollen, ohne Dirigenten, mit viel Kontakt untereinander“, ergänzt Ehe- und Gesangspartnerin Isabel Schicketanz. „Dadurch wirkt es wie ein in sich geschlossenes Gesamtwerk, auch wenn man dynamisch natürlich nicht so große Unterschiede bieten kann wie ein Chor.“

Fünfköpfiger Mob

Besonders die großen Turbae in der „Johannes-Passion“ hatten für Skepsis gesorgt: Würden sie die Wucht der Wütenden zu fünft transportieren können? Ja, konnten sie, denn „mit unseren Stimmen am Mikrof­on wirkte der Mob umso brutaler, je vereinzelter sie gegen Jesus wetterten“, erinnert sich Martin Schicketanz an die Reaktionen. Diese Unmittelbarkeit speist sich wohl auch aus dem reichen Schatz an Erfahrungen in unterschiedlichen Chören, die Ælbguts Interpretationen immer wieder inspirieren.

Aber ein Geheimnis ist wohl auch, dass die einstigen Kommilitonen schon lange miteinander befreundet sind. „Absprachen und Proben funktionieren barrierefrei, sehr wenig hart in den Worten. Die Diskussionen auf Augenhöhe gehen von einer gemeinsamen Vorstellung aus“, sagt Isabel Schicketanz. Und das – tja, das hört man dann eben auch.

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