Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Die schwangere Jungfrau

Opern-Kritik: Bregenzer Festspiele – Der Freischütz

Die schwangere Jungfrau

(Bregenz, 17.7.2025) Die spektakulär spektakelnde Inszenierung von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ überrascht in ihrem zweiten Jahrgang auf der Seebühne mit ihrer verfeinernden Zuspitzung: Sie ist noch stimmiger und spannender, witziger und ausgefeilter als vor einem Jahr. Auch musikalisch hat sich Erfreuliches getan.

vonPeter Krause,

„Werkstatt Bayreuth“ war einst das Markenzeichen der Wagner-Festspiele in jener fränkischen Residenzstadt, die der Meister des Musikdramas sich als Wohn- und Wirkungsort nach Jahrzehnten der Unrast auserkoren hatte. Hinter dem Begriff stand die Idee: Regisseure reisen zwar nach der Premiere mit ihrer gern hohen Gage in der Tasche wieder ab; aber sie kehren im Folgejahr zurück, feilen an der Umsetzung ihrer Ideen, schärfen ihr Konzept nach, entwickeln weiter, was nach sechswöchiger Probenzeit noch nicht vollends ausgearbeitet war. Im schnellen Betrieb des Repertoiretheaters ist dieses Polieren des Unvollendeten kaum möglich. Assistenten wärmen mit meist neuen Besetzungen und in kurzer Zeit auf, was einst erdacht wurde. Bei den Bregenzer Festspielen wird nun das große Spiel auf dem See stets über zwei Sommer gezeigt, was nicht zuletzt der Ökonomie geschuldet ist: Denn die immer imposanten Installationen auf der Seebühne, die Bühnenkunst, Architektur und Ingenieurwesen zusammenbringen, kosten ein Vermögen: Die Investitionen in ein veritables künstlerisches Bauprojekt rechnen sich erst nach zwei Festspieldurchläufen. Größere Schritte der Verfeinerung sind da eigentlich nicht vorgesehen. Dennoch ließ Philipp Stölzl es sich nicht nehmen, seine Inszenierung von „Der Freischütz“ mit seinem Team jetzt beherzt nachzujustieren.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen

Bildliche Wow-Effekte

Die war im Sommer 2024 beim Publikum sogleich ein Riesenerfolg. Die Kritiken fielen hingegen eher gemischt aus: Die Lust am Spektakel, die Nähe zur bildhaften Opulenz des Musicals und die Überwältigungs-, ja Wow-Effekte einer Filmästhetik, dazu die über nötige Kürzungen hinausgehenden Eingriffe in die Partitur des Carl Maria von Weber waren mit dem deutschen Ernst der romantischen Oper nach Meinung der feuilletonistischen Medien nicht vereinbar. Zur jetzigen Premiere des zweiten sommerlichen Durchlaufs der Inszenierung aber wurde wohl kaum jemand unter Niveau unterhalten. Stölzl, der mit seinen Filmen („Goethe!“, „Der Medicus“, „Winnetou – Der Mythos lebt“) einem breiten Publikum jenseits der Oper bekannt ist, im Schauspiel, aber auch immer wieder im Operngenre Erfolge feierte, ist eben ein neugieriger, hoch intelligenter Perfektionist, der sich nicht mit dem einmal Erreichten zufriedengibt.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen

„Finstre Mächte“ des Sexus

Filmisch gedacht ist bei ihm bereits die Rückblende vom bösen Ende der Geschichte noch vor der Ouvertüre: Da wird ein frisches Grab im Schnee ausgeschaufelt: Agathe ist gestorben, und ihr Max wird aufgehängt. Der Priester, der den Trauerzug mit dem Sarg der jungen Frau anführt, entpuppt sich alsbald als der diabolische Samiel, den Stölzl zur heimlichen Hauptfigur aufwertet. Der reimt so gewitzt, als wollte er Goethes „Faust“ in den Schatten stellen, er möchte es am liebsten queer mit Max treiben, der als (wenn auch im zielgenauen Schießen glückloser) Heterolangweiler mit den „finstren Mächten“, die ihn umgarnen, nichts anderes meinen könnte als die Avancen des rotgewandeten Versuchers. In der Gestalt des wendigen wie wortwitzigen Moritz von Treuenfels beherrscht dieser etwas andere Mephisto das Bühnengeschehen wie ein allzu verführerischer Erlkönig. Jenseits des strikt moralisierenden Gut und Böse, wie es das Christentum lehrt(e), verkörpert er ein allmächtiges Lustprinzip, nach dem erlaubt ist, was gefällt. Himmel und Hölle, Gott und Teufel erscheinen nurmehr als gegenseitige Projektionen.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen

Aktuelle Geschlechterdiskurse im historischen Gewand

Ist Gott also am Ende des Dreißigjährigen Krieges, der einst gar im beschaulichen Bregenz tobte, bereits tot? So sehr das von den Verwüstungen des 17. Jahrhunderts gezeichnete Dorf mit seinen windschiefen Fachwerkhäuschen von Stölzl, der als sein eigener Bühnenbildner fungiert, historisch nachgezeichnet ist, so sehr reflektiert der Regisseur die Handlung und die Figuren auch im Lichte aktueller Geschlechterdiskurse: Ännchen (selbstsicher sopranzwitschernd: Katharina Ruckgaber) ist nicht nur eine absolut emanzipierte junge Frau, sie stellt auch das moralinsaure Gerede von Gott in Frage. Ihre Freundin Agathe, die Irina Simmes mit edel leuchtenden Sopranlyrismen adelt, fordert Ännchen gar zu einem intimen Kuss jenseits des Heteronormativen heraus. Dieses (un-)mögliche Paar würde aus dem düsteren Dorf ohne Zukunft allzu gern in Richtung Schweiz fliehen. Gebunden ist Agathe indes durch andere Umstände an die jungen Kerle des Dorfs: Sie trägt vor der angestrebten Ehe mit Max ein voreheliches Kind des treffsicheren Aufschneiders Kilian unter der Brust. Den unvermeidlichen Weberschen Jungfernkranz ironisiert Stölz denn auch mit wie im Musical glitzernden Wassernixen.

Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen
Szenenbild aus „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen

Glückvolle Premierenbesetzung

Die Nachschärfung seiner Inszenierung findet man auch in Samiels Texten und in der musikalischen Fassung, die Webers Originalpartitur mit einem an die Volksmusik angelehnten Trio aus Kontrabass, Akkordeon und Cembalo konfrontiert. Der Wechsel zwischen den mitunter gekürzten Arien (dies betrifft im besonderen das Trinklied des Kaspar, dem Oliver Zwarg seinen rustikal-kernigen Bassbariton leiht) und den musikalischen Ergänzungen wirkt weit stimmiger als im Vorjahr. Sogar die Bregenzer Tontechnik scheint in diesem Jahr optimiert: Gar nicht topfig, sondern warm und romantisch rund klingen die vom Festspielhaus übertragenen Wiener Symphoniker, die Maestro Patrik Ringborg zu vorwagnerschem Mischklang inspiriert. Ausgesprochen glückvoll auch die neue Premierenbesetzung des Max mit Attilio Glaser, dessen toller Tenor die lyrische Hingabe des um Agathe werbenden Good Guy mit jugendlich-heldischer Attacke ideal verbindet. Vokalpracht verströmt nach Enescus „Œdipe“ auch der Prager Philharmonische Chor. Mit diesem neualten „Freischütz“ hat die frischgebackene Bregenzer Intendantin Lilli Paasikivi also keine Hypothek geerbt, sondern eine Erfolgsproduktion, die auch in diesem Sommer vor allabendlich voller Seebühne spielen dürfte. 2026 steht „La traviata“ auf dem Programm, der Italiener Damiano Michieletto wird den Verdi-Evergreen in Szene setzen.

Bregenzer Festspiele
Weber: Der Freischütz

Patrik Ringborg (Leitung), Philipp Stölzl (Regie & Bühne), Gesine Völlm (Kostüme), Philipp Stölzl & Florian Schmitt (Licht), Wendy Hesketh-Ogilvie (Stunt- und Bewegungsregie), Jamie Ogilvie (Technical Stunt Director), Olaf A. Schmitt (Dramaturgie), Johannes Kammler, Franz Hawlata, Irina Simmes, Katharina Ruckgaber, Oliver Zwarg, Attilio Glaser, Moritz von Treuenfels, Frederic Jost, Michael Borth, Prager Philharmonischer Chor, Wiener Symphoniker






Auch interessant

Rezensionen

Klassik in Ihrer Stadt

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!