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Opern-Feuilleton: Das Grauen von Auschwitz auf der Opernbühne?

Das Böse ist nicht nur banal

Ist es barbarisch, das Grauen von Auschwitz auf die Opernbühne zu bringen? Was Theodor Adorno einst ausschloss, scheint mit gehörigem historischem Abstand heute möglich.

vonPeter Krause,

Nur sieben Jahre mussten vergehen, nachdem der deutsche Diktator mit der Machtergreifung von 1933 sein weltweites Vernichtungswerk begann – und schon wagte Charlie Chaplin anno 1940 in seinem ersten Tonfilm überhaupt, Adolf Hitler unerschrocken und als höchst präziser Beobachter seines grausamen Gegenstands zu parodieren. „The Great Dictator“ setzte auf satirische Überzeichnung und famose Verfremdung der agitatorischen Reden in der fiktionalen wie unverständlichen Kunstsprache des „Tomanisch“. Die Persiflage gehört heute zu den signifikantesten Filmen überhaupt. Nach dem Ende aller Welteroberungsfantasien der Nazis folgten alsbald weitere Filme, die dem Wahnsinn kunstvoll nachspürten, auch solche, die dem Holocaust und seinen Opfern in der Betrachtung von berührenden Einzelschicksalen einen Erinnerungsraum schufen, auf dass sich durch das Erzählen von Geschichten die Geschichte tunlichst nicht wiederholen möge.

Nur das andere große audiovisuelle Medium der Kunst schwieg jahrzehntelang, machte um die zwölf dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte einen weiten Bogen. Und dies, obwohl die Oper doch auch eine ausgewiesene Expertin für alles Abgründige ist: siehe Carl Maria von Webers „Der Freischütz“, Puccinis „Tosca“, Wagners „Ring des Nibelungen“. Just die schlimmsten Nachtgestalten des Musikthea­ters aber – Verführer und Vergewaltiger wie Mephisto, Scarpia oder Alberich – üben auf ihr Publikum auch eine geheimnisvolle Faszination aus. Ihre meist bassschwarzen Stimmen schmeicheln sich wie süßes Gift in die Hörgänge ihrer Fans, die sich auf einmal sogar identifizieren können mit diesen Scheusalen der Opernbühne. Die Musik mit ihrer magischen Macht, unsere Gefühle zu lenken, macht es möglich, dass wir Nähe empfinden – nicht nur zu den Opfern der Bösen, sondern auch zu den Schlächtern selbst. Das Böse in der Oper ist nicht einfach nur banal, es zeigt seine menschlichen Seiten. Auch böse Menschen singen mitunter schöne Lieder. Die strikte Trennung in Gut und Böse scheint in der Gefühlsmaschinerie des Musiktheaters weitgehend aufgehoben.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schrei­ben, ist barbarisch.“

Weil dies so ist, folgte die Oper so lange ihrem gedankenklar gestrengen Kritiker Adorno allzu artig. Der Philosoph, Soziologe und Musikexperte postulierte schon 1949: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schrei­ben, ist barbarisch.“ Das Diktum will hier also variierend heißen: Nach dem Grauen der Vernichtungslager eine Oper über das Grauen von Auschwitz zu schreiben, noch dazu in deutscher Sprache, mithin der Mundart der Täter – das geht gar nicht. Zu sehr emotio­nalisiert die Oper, zu schnell sublimiert sie das Schrecken, zu oft färbt sie schön, was doch nur brutal ist. Was der Film kann, auch weil er den Verfremdungseffekt – siehe Chaplin – so viel präziser einzusetzen versteht, das durfte die Oper nicht. Mochte sie schweigen zum Zivilisationsbruch im Lande der Dichter und Denker. Denn geht das überhaupt: KZ-Kitsch in der Oper?

Mieczysław Weinberg bewies, dass es nicht nur sein kann, sondern dass es heute – mit gehörigem historischem Abstand – vielleicht sogar sein muss. In seiner bereits 1968 fertiggestellten, aber erst 2010 bei den Bregenzer Festspielen szenisch uraufgeführten Oper wagt er es, die Geschichte einer Überlebenden von Auschwitz zu erzählen, die ihrer einstigen Aufseherin nach dem Ende des Krieges auf einem Ozeandampfer wiederbegegnet. Das Schiff wie das Konzentrationslager bilden die Schauplätze. Das Werk seines als polnischer Jude in der Sowjetunion lebenden, Heimatlosigkeit und Demütigung erfahrenden Komponistenkollegen würden „wir heute dringend benötigen“, befand sein Freund und Förderer Schostakowitsch. Statt des krassen Expressionismus und Naturalismus seines Mentors aber setzt Weinberg auf Verinnerlichung und Stilisierung, zitiert Bachs Chaconne, findet den richtigen, fast pathosfreien Ton, um das Unbeschreibliche in Musik zu setzen. Die Herausforderungen für Regieteams bleiben indes immens: Soll man wie David Pountney in Bregenz den historischen Kontext zeigen? Oder kann man wie Tobias Kratzer in München sich jeglicher Nazi-Symbolik versagen? Darf man, was die Gattung Oper besonders gut vermag, das universelle Leiden zeigen und damit über das singuläre des Holocaust stellen?






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