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Interview Jonathan Darlington

„Was bin ich schon ohne das Orchester?“

Für den britischen Dirigenten Jonathan Darlington ist Respekt eine Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten.

vonHelge Birkelbach,

So gerne würde man jetzt in seinem Garten sitzen, das alte Zisterzienserkloster bewundern und sich vorstellen, wie er und seine Frau hier bald ein Kulturzentrum für Musik und Tanz aufblühen lassen könnten. Jonathan Darlington, Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker, genießt gerade die Sommerpause in seinem „Paradies“.

Seit zwei Jahren sind Sie Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker. Was fanden Sie vor, was haben Sie verändert?

Jonathan Darlington: Nun, was die sichtbare Veränderung betrifft, muss man wahrscheinlich eher die Mitglieder des Orchesters und das Publikum fragen. Alles braucht Zeit, um Beziehungen aufzubauen, um einen bestimmten Spielstil zu etablieren, eine gewisse Balance herzustellen. Eine eigene Klangkultur zu entwickeln braucht noch mehr Zeit. Und ich war ja auch nicht immer da. Ich hatte letztes Jahr einen sehr schweren Unfall und musste fast drei Monate im Krankenhaus verbringen. So ging ein Teil des Jahres verloren. Wenn ich es zusammenrechne, arbeite ich seit eineinhalb Jahren mit dem Orchester zusammen. Und ich habe nur acht Konzertwochen pro Saison. Als Chefdirigent ist es ja nicht so, dass man ständig dort ist. Das bedeutet, dass man manchmal zwei Schritte vorwärts und einen zurück macht.

Sie leben in Paris.

Darlington: Nicht ganz. Es ist etwa eine Autostunde von Paris entfernt und ein wunderschöner Ort, den meine Frau und ich in der Coronazeit entdeckt haben. Wir wohnen jetzt in einem ehemaligen Zisterzienserkloster, das umgebaut wurde. Oder sagen wir besser: Reste eines Klosters. Es stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist gar nicht so groß, wie man sich das jetzt vorstellen könnte. Aber es hat einen riesigen Garten – das war vielleicht ausschlaggebend für unsere Entscheidung. Wir bauen Gemüse an, Tomaten, Karotten, Zucchini, sogar Artischocken. Ich koche ja gerne. Hören Sie den Fluss im Hintergrund plätschern? Er durchquert den Garten. Es ist wirklich ein Paradies. Meine Frau und ich haben uns auch dafür entschieden, weil wir planen, hier ein Kulturzentrum für Musik und Tanz zu gründen. Sie war Primaballerina an der Pariser Oper und ist jetzt Direktorin des Teatro San Carlo in Neapel. Nun, es gibt noch viel zu tun. Aber wir haben schon einen Atelierraum, den wir als Tanzstudio umfunktionieren wollen, auch Musikstudios sind geplant. Es wäre alles möglich, es gibt Platz genug.

Haben Sie durch Ihre Frau einen besonderen Zugang zum Ballettrepertoire und Tanzsätzen in sinfonischer Musik entwickelt?

Darlington: Das hatte ich schon vorher, denn ich finde es hochwichtig, dass man auch Ballett dirigieren kann. Es gibt so viel wunderschönes Repertoire, musikalisch hat es eine Menge zu bieten. Das ist lyrisch, farbig, intensiv! Ich habe gerade die „Suite en blanc“ geleitet, eine Choreografie von Serge Lifar zu Musik von Édouard Lalo aus dessen Ballett „Namouna“. Die Aufführung fand in Neapel statt, meine Frau war sozusagen mein Boss (lacht). Außerdem steht noch „Le Jeune Homme et la Mort“ auf meinem Zettel, ein Ballett von Roland Petit, das er 1946 zu Bachs Passacaglia und Fuge c-Moll choreografiert hat, und sein Ballett zu Bizets „L’Arlésienne“. Wie gesagt: Das Repertoire ist unerschöpflich.

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„Ich bin kein Diktator, wenn ich am Pult stehe“, sagt Jonathan Darlington
„Ich bin kein Diktator, wenn ich am Pult stehe“, sagt Jonathan Darlington

In einer Reportage des Bayerischen Rundfunks konnte man sehen, wie Sie Pasta kochen mit Simone di Tullio, dem Solopauker der Nürnberger Symphoniker. Wie nah darf ein Chefdirigent gegenüber seinem Orchester sein, ohne dass der Respekt verloren geht?

Darlington: Das ist eine große Frage – und eine sehr interessante Frage. Zunächst einmal bevorzuge ich es, allen Menschen gegenüber freundlich zu sein, ob nun privat oder bei der Arbeit. Das hat grundsätzlich etwas mit guten Manieren zu tun. Ich bin kein Diktator, wenn ich am Pult stehe. Diese Haltung ist völlig von gestern. Respekt ergibt sich vielmehr daraus, dass ich wie auch das Orchester Leidenschaft für das haben, was wir tun. Wir wollen immer besser werden, und das können wir nur gemeinsam erreichen. Was bin ich schon ohne das Orchester? Es ist keine Einbahnstraße. Wir haben gemeinsam Respekt voreinander, was aber nicht mit Distanz zu verwechseln ist. Simone di Tullio könnte mein Sohn sein. Ein Vater mag doch seinen Sohn, oder? Warum sollte ich nicht mit ihm Pasta kochen, wenn wir am nächsten Tag ein schweres Stück proben und voll konzentriert sein müssen? Es wird uns leichter fallen. Ich könnte ihm zum Beispiel sagen, wie ich seinen Paukeneinsatz gerade haben möchte: „Mehr al dente!“ Das wird er sofort verstehen und vielleicht auch ein bisschen schmunzeln, weil er genau weiß, was gemeint ist. Wenn Sie als Musiker das Gefühl haben, dass jemand nicht ehrlich ist und nur sein Ego durchsetzen will, dann bauen sich Barrieren auf und dann werden in Ihrem Kopf Fragen auftauchen. Aber wenn Sie das Gefühl haben, dass die Person, mit der Sie sprechen, ehrlich ist, egal ob Sie sehr nette oder sehr schwierige persönliche Dinge sagen, dann ist es viel einfacher, eine richtig gute Beziehung zu führen. Ich denke, das gilt auch für einen ­Dirigenten mit seinem Orchester.

Was meinen Sie mit Ehrlichkeit?

Darlington: Es geht auch um Ehrlichkeit gegenüber dem Komponisten. Oder besser: Redlichkeit, was im englischen Wort „honesty“ mitschwingt. Wenn ein Komponist ein Accelerando fordert und Sie dem nicht folgen, also nicht schneller werden oder das Gegenteil tun, dann sind Sie nicht redlich. Sie können es auf Ihre eigene Art machen, aber dann brauchen Sie einen triftigen interpretatorischen Grund, und den müssen Sie den Musikern vermitteln. Sie müssen sie dabei unterstützen, zu verstehen, was der Grund ist. Und Sie dürfen es nicht negativ oder sogar verletzend formulieren. Dann erreichen Sie nicht nur Unverständnis, sondern dazu noch eine schlechte Interpretation.

Regelmäßig leitet Jonathan Darlington das Finalkonzert des Wettbewerbs Neue Stimmen
Regelmäßig leitet Jonathan Darlington das Finalkonzert des Wettbewerbs Neue Stimmen

Auch in diesem Jahr sind Sie beim Wettbewerb Neue Stimmen dabei, Sie leiten das Finale mit den Duisburger Philharmonikern. Vor welchen Herausforderungen stehen junge Sängerinnen und Sänger heute in der Opernbranche?

Darlington: Die Konkurrenz untereinander wird immer größer, weil herausragende Talente immer früher Leistung zeigen und von den Konservatorien auf den Markt drängen. Weil Finanzen gekürzt werden, weil deshalb die Schnelligkeit des Opernbetriebs steigt und der Stress zunimmt – und weil Talent nicht alles ist. Man muss Glück haben, so wie ich als Dirigent. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, als ich an der Pariser Oper kurzfristig bei einer Aufführung des „Figaro“ einspringen konnte. Ich war 36 Jahre alt, Assistent des Generalmusikdirektors, hatte aber praktisch noch nie eine ganze Oper dirigiert! Das wäre heute wahrscheinlich undenkbar. Der Opernbetrieb ist eine sehr herausfordernde, ziemlich brutale Welt. Wenn Sie freiberuflicher Sänger sind, wachen Sie morgens auf und fragen sich, ob Ihre Stimme richtig funktioniert. Dann geht’s zur Probe und der Regisseur bittet Sie, etwas zu tun. Der Dirigent bittet Sie, etwas anderes zu tun. Es könnte sein, dass die Ideen der Regie nicht mit dem Bühnenleiter abgestimmt sind und Sie wissen nicht, was Sie tun sollen. Sie erinnern sich, dass Sie bald Ihren Gesangstrainer und Ihren Sprachtrainer bezahlen müssen. Wenn so viele Informationen auf Sie einprasseln und Sie zwischendurch irgendwie noch Ihre eigene Identität finden wollen, ist das ziemlich schwierig. Ich bewundere alle, die das schaffen.

Wie profitieren die jungen Künstler vom Wettbewerb Neue Stimmen?

Darlington: Das passiert auf sehr unterschiedlichen Ebenen, zum Beispiel durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die der Wettbewerb generell erhält. Das Finale wird immer weltweit gestreamt und von Radiopartnern ausgestrahlt. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben nach dem Wettbewerb Verträge bei renommierten Opernhäusern oder mit großen Agenturen erhalten. Zudem gibt es nicht nur Preisgelder für die Gewinner, sondern oft auch Stipendien oder spezielle Förderpreise, die ihnen helfen, die weitere Ausbildung und Karriere zu finanzieren. Und es gibt natürlich ein professionelles Feedback von einer hochkarätig besetzten Jury, die oft aus internationalen Opernintendanten besteht. Dieses Feedback kann den Künstlern helfen, ihre Ziele und Karriereperspektiven besser einzuordnen und sich dadurch besser zu vernetzen.

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Connesson: Athanor & Supernova

Virginie Pesch (Sopran), Nigel Smith (Bariton), Chœur de Radio France, Orchestre National de France, Jonathan Darlington & Muhai Tang (Leitung)
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