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INTERVIEW IAN BOSTRIDGE

„Ich möchte die Breite von Brittens Genie zeigen“

Tenor Ian Bostridge enthüllt die geheimen Verbindungen zwischen Britten und Wagner und erklärt, warum England kaum einen großen Komponisten hervorgebracht hat

vonPeter Krause,

Ian Bostridge versteht sich als Sänger und als Schriftsteller, er ist ein Künstler, der wirklich in die Tiefe der Musik eindringen will. Bald veröffentlicht er ein Buch über Schuberts Winterreise. Und er ist der führende Interpret der Vokalmusik Benjamin Brittens, dessen 100. Geburtstag die Musikwelt in diesem Jahr feiert. Aus diesem Anlass gestaltet der Brite im April gleich drei Konzerte in Hamburg, um die enorme Bandbreite der Musik seines Landsmanns zu präsentieren.

Sie sind der derzeit bedeutendste Interpret der Vokalmusik Benjamin Brittens. Ihr Landsmann wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Die Opernwelt aber feiert mit unzähligen Aufführungen seine Kollegen Verdi und Wagner, die vor 200 Jahren geboren wurden. Was ist Ihr persönliches Verhältnis zu diesen beiden Heroen des 19. Jahrhunderts?

Ich liebe es, mir Vorstellungen von Verdi und Wagner anzuschauen, und hatte bereits das große Glück, eine kleine Rolle in Tristan und Isolde zu übernehmen, den Hirten. Der dritte Aufzug gehört zu meiner absoluten Lieblingsmusik, es ist einfach außerordentlich schrecklich, was dort in Musik verhandelt wird. Denken Sie an das einsame Englisch-Horn-Solo zu Beginn. Solche Musik erlaubt es, uns mit sehr dunklen Seiten unserer Existenz zu konfrontieren, da gibt es Dinge, die wir ungern benennen, aber durch die Musik verarbeiten können. Die großen Wagner-Rollen zählen zwar nicht zu meinem Repertoire, eines Tages würde ich durchaus gern den Loge in Das Rheingold singen.

Ärgert sie gleichwohl der extreme Verdi- und Wagner-Hype?

 

Diese beiden wunderbaren Komponisten haben es nicht nötig, dass man sich gesondert um sie kümmert, sie bilden ohnehin den Kern des Opernrepertoires. Die Chance eines solchen Jubiläumsjahres sehe ich eher darin, einen neuen Blick auf einen Künstler zu richten, der weniger im Fokus steht. Britten hat es seinerseits nicht nötig, dass man ihn neu entdeckt, er ist in den Opernhäusern ja durchaus präsent, aber es gibt bestimmte Aspekte seiner Arbeit, die es lohnt, jetzt besonders zu betrachten.

Gibt es denn so etwas wie eine heimliche Verbindung von Wagner zu Britten? 

 

Er selbst hätte eine solche Verbindung bestritten, wollte sich zunächst von dieser übermächtigen Figur distanzieren, hat sich offiziell deutlich auf Verdi, den Psychologen der Oper, bezogen. Aber Britten war ohne Zweifel sehr beeinflusst von Wagner. Die Idee einer thematischen Einheit seiner Opern geht ganz sicher auf Wagner zurück. Death in Venice ist auf seine Art ein sehr wagnerisches Stück!

Welche neuen Einblicke sollen Musikfreunde während des

Britten-Jahres gewinnen?

Die Breite seines Genies und seines Schaffens ist so enorm, sie gilt es, ganz zu erfassen. Das Publikum außerhalb von Großbritannien kennt Britten fast ausschließlich als Opernkomponisten: Billy Budd, Turn of the Screw und natürlich Peter Grimes stehen oft auf den Spielplänen. Wagner dagegen war ja, mit Ausnahme der Wesendonck-Lieder, fast ausschließlich ein Opernkomponist. Ähnliches gilt für Verdi. Aber Britten war zudem ein großartiger Schöpfer von Liedern und von Kammermusik, etwas weniger war er im sinfonischen Bereich aktiv. Er interessierte sich für die Ränder des Repertoires. Ein Musikwissenschaftler schrieb ihm einmal, warum er denn als großer Komponist so viele kleine Werke schreibe. Dieses Denken war ihm vollkommen fremd. Für ihn war ein Werk für Kinderchor eben genauso wichtig wie eine abendfüllende Oper. Einige seiner wichtigsten Werke entstanden in der Tat für ganz ungewöhnliche Besetzungen. In meiner Hamburger Residenz möchte ich natürlich stark für sein herrliches Lied-Schaffen werben, denn ich bin sicher, dass es die Menschen, die keine englischen Muttersprachler sind, genauso direkt anspricht und berührt, wie es umgekehrt für Schubert gilt, der Leute unmittelbar erreicht, die kein Deutsch sprechen. Wenn Britten ein Gedicht in Musik verwandelt, dann ist allein der Klang einfach außerordentlich.

Einen Unterschied zwischen Schubert und Britten gibt es aber doch. Während der erste oft mittelmäßige Gedichte in geniale Lieder übersetzte und so die Lücken zwischen den Worten füllen konnte, wählte sich letzterer die Spitze englischer Lyrik, Gedichte, die per se „vollendet“ sind. Machte er es sich damit nicht schwerer?

 

Ein Komponist ergreift Besitz von Lyrik. Für Britten muss es schwieriger gewesen sein, sich Gedichten zuzuwenden, die den meisten Menschen eher Angst einjagen. Wenn im Gegensatz dazu andere englische Komponisten sich dieselben Gedichte auswählten, dann waren sie respektvoll und schrieben im Ergebnis oft ziemlich langweilige Musik. Britten hingegen hatte das Vertrauen in sich, ein Gedicht zu lesen und eigene Ideen daraus zu entwickeln, woraus dann wirklich eine neue Einheit aus Text und Musik entstand.

 

Sie verknüpfen Benjamin Britten in Hamburg auch mit Renaissance-Musik. Welche Verbindung sehen Sie?

 

Er war einer der ersten Musiker, der das Revival der Alten Musik beförderte. Kein Alte-Musik-Hardliner wie Brüggen oder Harnoncourt, aber jemand, der sich dafür interessierte, dieses Repertoire wiederzuentdecken, übrigens auch, um der Musik wieder ihr menschliches Maß zurückzugeben und von diesem riesigen, überwältigenden, fast inhumanen Sound der Spätromantik wegzukommen. Die Entstehung seiner Kammeropern kann man vor diesem Hintergrund sehen. Aber auch, wenn Britten Schubert-Lieder spielte, wollte er mit dem Steinway behutsam den Klang von Schuberts Flügel einfangen.

Wie erklären Sie diese riesige Lücke englischer Meister zwischen Purcell und Britten?

 

Es hat wohl etwas mit Händel zu tun. Er wurde in England zu Lebzeiten und noch danach eine derart dominante kulturelle Figur, dass er alles andere im Sinne einer genuinen englischen Musik stoppte. In vielerlei Hinsicht ist er der erste „klassische“ Komponist, der also wirklich Teil eines Kanons wurde, den man nach seinem Tod regelmäßig rezipierte. Hinzu kommt die Tatsache, dass Musik in England ein aristokratisches Phänomen war, und es für die Adligen einfach zum guten Ton gehörte, Musik aus dem Ausland zu importieren, also Italiener und Deutsche einzukaufen.

 

Was macht Benjamin Britten zu einem britischen Komponisten?

 

Er ist sicher kein britischer Komponist wie so manche Kollegen, die unbedingt einfach, sozusagen ländlich und naturverbunden im Sinne eines folkloristischen Tons sein wollten. Ich denke, Britten ist eher eigenwillig, er passte nicht ins nationale Schema. Ich würde ihn vielleicht mit Janáček vergleichen, dessen tschechischen Ton man auch sofort erkennt. 

 

Warum passen Sie und Britten so gut zusammen?

 

Ich habe seine Musik schon im Kinderchor gesungen, als ich zwölf Jahre alt war. Seine Sprache habe ich irgendwie im Blut. Dazu brauchte ich keine formale musikalische Bildung. Und dann ist da natürlich meine Leidenschaft, Texte zu vermitteln, die mich mit ihm verbindet.

Ist Brittens Partner, der Tenor Peter Pears, eher eine Last oder doch eine Inspiration, wenn es darum geht, seine Vokalmusik zu erarbeiten?

 

Für uns heute ist er eine Inspiration, für die Menschen, die ihn kannten oder bei ihm studierten, war er eher eine Last oder doch jemand, gegen den man sich selbst definieren musste. Philip Langridge ist eben diesen Weg sehr erfolgreich gegangen und wurde dann ein deutlich wandlungsfähigerer Sänger, als Pears selbst einer war. Aber Pears hat den Weg bereitet für Sänger ohne diese großen heldischen Stimmen, um die durchaus dramatischen Partien, die Britten in seinen Opern schrieb, dennoch intensiv auszufüllen.

Wie erarbeiten Sie sich Ihr exzellentes Deutsch, durch das Sie als Evangelist der Bach-Passionen oder als Liedinterpret so begeistern? 

 

Ich hatte einen wunderbaren Deutschlehrer in der Schule, und dann gab es eben einen Dietrich Fischer-Dieskau, dessen Platten ich immer wieder rauf und runter hörte. Ich habe ein Gefühl erhalten, wie man diese Sprache modelliert, obwohl mein Kommunikationsvermögen auf Deutsch bis heute begrenzt ist.

Teil Ihrer Hamburger Residenz wird Hans Werner Henzes für Sie geschriebenes Werk Opfergang sein. Was haben die beiden Meister der Vokalmusik gemeinsam?

 

Ich denke, Henze war eine vergleichbar eklektische Figur, er wollte nie Teil einer bestimmten „Schule“ sein. Henze beschäftigte sich zwar mehr mit der disssonanzreichen Avantgarde und der Zwölftonmusik seiner Zeit, komponierte in den 50er, 60er und 70er Jahren dennoch „romantische“ Musik. Das merkte Britten und entwickelte einige Nähe zu seinem Kollegen, obwohl Henze es sich dann erlaubte, mit Brittens altem Partner, dem Lyriker W. H. Auden, so eng zusammenzuarbeiteten. Hans war jedoch der deutlich unkomplizierte Charakter, es war einfach immer angenehm, mit ihm zusammen zu sein.

 

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