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Interview François Leleux

,,Die Arbeit des Vorgängers ist ein Ansporn“

François Leleux übernimmt die Leitung der Kammerakademie Potsdam – und möchte viel Neues anstoßen.

vonSören Ingwersen,

François Leleux ist nicht nur ein gefragter Dirigent, er zählt auch zur Spitzenklasse der Oboisten. Im Interview erzählt er, warum ihm die Karriere als Solist allein nicht glücklich gemacht hätte.

Könnte man sagen, dass die Oboe in den letzten zehn, fünfzehn Jahren als Solo-Instrument überhaupt erst richtig entdeckt wurde?

François Leleux: Das ist eine medial verzerrte Wahrnehmung. Der Franzose Pierre Pierlot oder der Engländer Léon Goossens waren schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts sehr bekannte Solisten. Oder nehmen Sie unseren Helden Heinz Holliger, der 86 Jahre alt ist und noch sehr gut spielt. Allerdings wurden Bläsersolisten lange Zeit eher aus den eigenen Reihen der Orchester rekrutiert, während man heute häufiger Gastsolisten engagiert.

Was kann die Oboe, was andere Instrumente nicht können?

Leleux: Die Oboe kann eine unendliche Phase spielen, quasi ohne zu atmen. Das liegt an der konischen Bohrung, die eine große Atemspannung ermöglicht. Auch die permanente Atmung – also das Atmen während des Spielens – lässt sich auf der Oboe viel einfacher realisieren als mit der Flöte, Klarinette oder dem Fagott, weil wir mit sehr wenig Luft einen Ton erzeugen können.

Zugleich ist die Oboe auch ein virtuoses Instrument …

Leleux: Das stimmt. Auch wir haben unseren Paganini, der heißt Antonio Pasculli. Ein Oboist des späten 19. Jahrhunderts, der sehr viel gereist ist, ein großer Solist war und unglaubliche Oboenkonzerte geschrieben hat.

Stimmt es, dass man als Oboist auch ein guter Handwerker sein muss?

Leleux: Ja, man muss gute Rohre in Handarbeit herstellen und vieles justieren und reparieren können. Man muss sehr fantasievoll sein, gut und präzise basteln können. Denn wenn man irgendetwas an der Oboe bewegt, bewegen sich gleichzeitig drei, vier andere Komponenten mit.

Technisch versiert: François Leleux ist sowohl als Dirigent als auch als Oboist zu erleben
Technisch versiert: François Leleux ist sowohl als Dirigent als auch als Oboist zu erleben

Man muss also ganzheitlich denken wie ein Homöopath?

Leleux: So ungefähr.

Zumal dieses kleine Instrument aus über 150 verschiedenen Teilen besteht …

Leleux: Deshalb ist die Herstellung eine große Handwerkskunst und ein Instrument kostet etwa 10 000 Euro, wobei man es im Prinzip alle drei, vier Jahre austauschen muss.

Gerade wenn Sie sich richtig auf Ihrem Instrument eingespielt haben, ist es fast schon wieder auswechslungsbedürftig?

Leleux: Das stimmt. Und es empfiehlt es sich, das Instrument nicht zu spät zu wechseln, um mit der Entwicklung des Instrumentenbaus Schritt zu halten. Die Qualität nimmt stetig zu. Wer zehn oder zwanzig Jahre dieselbe Oboe spielt, wird danach Schwierigkeiten mit dem Umstieg haben.

Kann man sagen, dass die Oboe, wie wir sie heute kennen, in Ihrem Geburtsland Frankreich erfunden wurde?

Leleux: Schon Ludwig XIV, unser „Sonnenkönig“, hatte an seinem Hof ein Orchester mit Oboen und Fagotten. Die Blechblasinstrumente waren damals noch nicht so gut entwickelt und die Streicher zu leise. In der Gemeinde La Couture hat Ludwig deshalb den Bau von Blasinstrumenten gefördert. Noch heute werden dort sehr fortschrittliche Oboen, Klarinetten und Fagotte hergestellt, und es gibt eine sehr große Bläsertradition in Frankreich.

Sie waren bereits mit 18 Jahren Erster Solo-Oboist an der Bastille-Oper in Paris, sind dann zum Sym-phonieorchester des Bayerischen Rundfunks gewechselt, wo Sie zwölf Jahre lang auch unter Lorin Mazel und Mariss Jansons gespielt haben. Fiel Ihnen der Entschluss leicht, die Stelle für eine Solokarriere aufzugeben?

Leleux: Mit 19 Jahren habe ich den ARD-Wettbewerb und noch fünf, sechs weitere Preise in Toulon, Manchester, Prag, Triest und auch in Japan gewonnen. Danach kamen sehr viele Anfragen für Solokonzerte. Das hat mich sehr glücklich gemacht. Trotzdem habe ich mir damals schon geschworen, wenn ich eines Tages keine Freude, keinen Spaß mehr mit meinem Instrument habe, werde ich aufhören zu spielen. Deshalb habe ich mit 25 angefangen zu dirigieren. Es war für mich sehr wichtig, auch etwas anderes zu machen.

Sie haben auch im Chamber Orchestra of Europe gespielt …

Leleux: Dieses Ensemble war für mich unglaublich inspirierend. Außerdem habe ich mit 25 Jahren mit dem Ensemble del Arte ein eigenes Kammerorchester in Neuburg an der Donau geleitet. Dann habe ich meine Frau geheiratet, die Geigerin Lisa Batiashvili. Weil wir uns um die Kinder kümmern wollten, habe ich das Dirigieren erst einmal zurückgefahren. Es ist eine sehr zeitaufwendige Arbeit, weil man von der ersten Probe bis zum letzten Konzert anwesend sein muss. Als Solist genügt es, einen Tag vor dem Konzert anzukommen.

Haben Sie sich das Dirigieren damals abgeschaut von den Dirigenten, unter denen Sie gespielt haben?

Leleux: Natürlich. Lorin Maazel war, was die Schlagtechnik anbelangt, der Beste seiner Zunft. Auch Mariss Jansons versprühte eine phänomenale Kraft in seinen Proben. Carlo Maria Giulini hatte eine Aura wie ein Heiliger auf der Bühne, und auch Myung-Whun Chung verehre ich sehr. Nicht zu vergessen Yannick Nézet-Séguin, Alan Gilbert und Daniel Barenboim, der ein großes Vorbild für mich ist, weil er nicht nur dirigiert, sondern auch ein hervorragender Solist ist. Von diesen großen Leuten habe ich sehr viel gelernt.

Dirigenten wie Yannick Nézet-Séguin, Alan Gilbert und Daniel Barenboim zählen zu seinen Vorbildern
Dirigenten wie Yannick Nézet-Séguin, Alan Gilbert und Daniel Barenboim zählen zu seinen Vorbildern

Sie sind auch im Bereich der Neuen Musik sehr aktiv. Auf Ihrem neusten Album „Future Horizons“, an dem auch Ihre Frau beteiligt ist, sind drei Weltersteinspielungen von Kompositionen zu hören, die Ihnen bzw. Ihnen beiden gewidmet sind. Haben Sie sich mit den Komponisten Nicolas Bacri, Michael Jarrell und Thierry Escaich ausgetauscht, während diese Stücke entstanden sind?

Leleux: Ich finde, Komponisten sollten bei ihrer Arbeit totale Freiheit haben, weil es auch immer darum gehen sollte, die Möglichkeiten unserer Instrumente und unsere Fähigkeiten zu erweitern. Gerade deshalb ist es eine der wichtigsten Aufgaben für mich, Neue Musik zu spielen. Als ich 1991 einen Spezialpreis in Höhe von 20 000 Dollar erhalten habe, habe ich das ganze Geld für Kompositionsaufträge verwendet.

In der anstehenden Spielzeit werden Sie die künstlerische Leitung der Kammerakademie Potsdam übernehmen. Hat das Publikum dort viel Neues zu erwarten?

Leleux: Natürlich. Schon beim Eröffnungskonzert spielen wir, neben Haydn und Berlioz, die vierte Sinfonie von Nicolas Bacri. Beim Folgekonzert steht die erste Sinfonie des jungen georgischen Komponisten Tsotne Zedginidze auf dem Programm. Auch den georgischen Pianisten Georgi Gigashvili haben wir zu Gast. Er spielt Bachs Konzert in d-Moll, zum Teil in einer Jazz-Bearbeitung von Oscar Peterson. Im Anschluss erklingt Keith Jarretts Adagio für Oboe und Streichorchester. Wir wollen die Leute überraschen.

Antonello Manacorda, der die Kammerakademie vor Ihnen fünfzehn Jahre lang geleitet hat, hat das Orchester auf ein ganz neues Niveau gehoben. Wie gehen Sie mit diesem Erbe um?

Leleux: Ich bin sehr dankbar für die unglaubliche Arbeit, die Antonello mit dem Orchester geleistet hat. Dabei sind auch wunderbare Aufnahmen entstanden, wie zuletzt die Einspielung der Beethoven-Sinfonien, die sich mit jeder anderen Aufnahme dieser Werke messen kann. Antonello hat eine sehr inspirierende Atmosphäre verbreitet, in der Ideen ausgetauscht werden und alle Musiker Einfluss nehmen können. Daran anzuknüpfen erzeugt natürlich einen gewissen Druck, ist aber auch ein Ansporn für mich. Deshalb ist unser Thema der kommenden Spielzeit auch „Bewegung“. Bewegung ist ein Zeichen des Lebens, das sich auf immer neue Ziele zubewegt.

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