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Blind gehört Katharina Konradi

„Das flutscht durch den ganzen Körper“

Katharina Konradi hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass sie weiß, wer spielt.

vonJan-Hendrik Maier,

Voller Vorfreude und spürbar aufgeregt besucht Katharina Konradi einen Tag nach einem langen Probentag für Mozarts „Figaro“ die concerti-Redaktion für ein „Blind gehört“-Interview. Dabei knackt die Sopranistin nicht nur die einzelnen Rätsel, sondern genießt auch sichtlich das Durchdringen der geheimen Playlist. Aufgrund ihres vollen Terminkalenders kommt sie nur selten dazu, neue Interpretationen anzuhören.

Album Cover für Schubert: Zögernd leise D 920

Schubert: Zögernd leise D 920

Fatma Said, MGV Walhalla zum Seidlwirt, Yonatan Cohen (Klavier). Warner 2025

Schuberts „Ständchen“. Manchmal gibt es einen Ton, bei dem ich sage: „Ah, jetzt erkenne ich die Stimme!“ Aber nein, ich muss passen. – Ich bin dieses Jahr für sie eingesprungen? Fatma Said? Sie ist eine fabelhafte Liedsängerin. Ich bewundere, dass sie den Mut hat, sich in der heutigen Zeit fast ausschließlich darauf zu konzentrieren. Dadurch bleibt ihre Stimme auch so jugendlich frisch, durch die Oper würde sie stärker verschlissen. Das hier ist wirklich erste Sahne.

Album Cover für Liszt: Enfant, si j'étais roi

Liszt: Enfant, si j’étais roi

Diana Damrau, Helmut Deutsch (Klavier). Orfeo 2007

Liszts „Enfant, si j’étais roi“ mit Diana Damrau und Helmut Deutsch. Ich habe es kürzlich aufgenommen und daher viele Interpretationen angehört. O mein Gott, dieser Ton ist einfach unglaublich. Der hat noch so eine Kuppel. Was für ein Pianissimo! Ich konnte das nicht. Ich bewundere, wie Diana auch im dichtesten Klavierpart ihre Leichtigkeit behält. Liszts französische Lieder sind wie kleine Opern mit einer enormen Fallhöhe für die Sänger, es gibt immer einen Moment, in dem die Stimme fast nackt ist. Diana ist ein Idol für mich, eine Diva, die göttlich singt.

Album Cover für Mozart: Le nozze di Figaro – Deh vieni non tardar

Mozart: Le nozze di Figaro – Deh vieni non tardar

Golda Schultz, Kammerakademie Potsdam, Antonello Manacorda (Leitung). Alpha 2024

Susanna aus Mozarts „Le nozze di Figaro“, die Partie probe ich ja gerade. Jetzt bin ich aber gespannt. Es ist keine Italienerin. Ich habe bei dieser Rolle immer Barbara Bonney im Ohr, aber das ist sie auch nicht. Die Aussprache dieser Sängerin sitzt sehr weit vorne, richtig in der Maske, und doch hat der Ton diese unglaubliche Kuppel und klingt so leicht. – Wow, diese Kadenz muss ich mir merken. – Golda Schultz, wirklich? Ich kenne nur ihre Gräfin. Wir haben diese Oper gemeinsam in Wien gesungen. Die Rolle der Gräfin möchte ich in naher Zukunft unbedingt machen. Ich habe kürzlich eine ihrer Arien für ein Konzert einstudiert, das mein erster Schritt als Contessa hätte werden sollen, aber das musste leider kurzfristig abgesagt werden. Im Vergleich zu Susanna, die stets die gesamte Bühne und alle Requisiten im Blick behalten muss, hat die Contessa es leichter, denn sie kann sich einfach aufs Schönsingen konzentrieren.

Album Cover für Wagner: Tannhäuser – Allmächt'ge Jungfrau, hör' mein Flehen!

Wagner: Tannhäuser – Allmächt’ge Jungfrau, hör‘ mein Flehen!

Lise Davidsen, Philharmonia Orchestra, Esa-Pekka Salonen (Leitung). Decca 2019

Ich habe den Namen, aber Angst, ihn auszusprechen. – Ist das Lise Davidsen? Gut! Dieses Stück kommt mir sehr bekannt vor, es klingt wie Wagner. – Ja klar, das ist aus „Tannhäuser“. 2019 hat Lise in Bayreuth diese großartige Elisabeth gesungen. Als Hirt stand ich damals fünf Minuten auf der Bühne, den restlichen Abend ist man leider weit hinten im Haus und bekommt nicht viel mit. – Auch hier klingt das so, als ob Wagner das für sie geschrieben hätte. Kein Ton sticht heraus oder bleibt im Schatten. Das ist perfekt. Man kennt diese reifen runden Stimmen und diese unglaubliche Dramatik eher von erwachseneren Sängerinnen. Dass Lise schon so früh aus dem Vollen schöpfen kann – sie ist ein Jahr älter als ich – macht sie zu einer Erscheinung des Jahrhunderts. Ich habe gerade Gänsehaut.

Album Cover für Kurtág: Kafka-Fragmente op. 24 – Berceuse

Kurtág: Kafka-Fragmente op. 24 – Berceuse

Anna Prohaska, Isabelle Faust (Violine). harmonia mundi 2022

Spontan fallen mir drei Komponisten ein: Reimann, Widmann und Henze. Moment, doch, ich kenne das. Ich kann Ihnen das Cover beschreiben. – Isabelle Faust und Anna Prohaska mit Kurtág! Ich bin ein Riesenfan von ihm. Er kann auf engstem Raum so viele Emotionen wecken, innerhalb weniger Sekunden eine starke Dramatik aufbauen und diese abstrakten Kafka-Texte in sinnhafte Musik übersetzen. Anna Prohaska bin ich in der Hochschule in Berlin auf dem Flur begegnet, als sie aus einer Probe mit Eric Schneider kam. Da war sie schon ein Star und ich noch Studentin bei Schneider. Ich finde es toll, dass sie sich in keine Schublade stecken lässt. Ihre Stimme ist so ausgebildet, dass sie alles machen kann. Sie singt fantastischen Barock, klasse Mozart und richtig gute Neue Musik.

Album Cover für Haydn: Die Schöpfung – Mit Staunen sieht das Wunderwerk

Haydn: Die Schöpfung – Mit Staunen sieht das Wunderwerk

Hanna-Elisabeth Müller, Coro e Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, Zubin Mehta (Leitung). Dynamic 2021

Ich liebe Haydn. „Die Schöpfung“ ist ohnehin eines der besten Stücke, die man als Sopran auf der Konzertbühne singen kann, weil man so viel zu tun hat. Es ist schwierig, sich jetzt nicht zu verzetteln. Ist das Christina Landshamer? Das Tempo ist so gemächlich. – Mit Zubin Mehta? Das heißt, das ist eine ältere Aufnahme? Diese Stimme ist schon etwas größer. Hört sich wie eine Contessa an. – Ist das wirklich Hanna-Elisabeth Müller? In diesem Werk hätte ich sie nicht vermutet. Als Studentin habe ich sie in München als Servilia in „La clemenza di Tito“ gehört. Das Bild, wie sie in einem rosafarbenen Kleid über die Bühne schritt, hat sich mir eingebrannt.

Album Cover für Korngold: Die tote Stadt – Glück das mir verblieb

Korngold: Die tote Stadt – Glück das mir verblieb

Camilla Nylund, Klaus Florian Vogt (Paul), Orchestra of the Finnish National Opera, Mikko Franck (Leitung). Opus Arte 2022

Auf das Stück komme ich nicht, aber das ist Camilla Nylund. Sie war meine Arabella in Dresden, und wir werden bald in Japan gemeinsam im „Rosenkavalier“ singen. Ich finde es großartig, wie sie in die Höhe gehen kann. Das flutscht bei ihr durch den ganzen Körper. Sie singt brillant, ihre Töne sind nie scharf oder penetrant, das bleibt alles in einem Gefäß und geht von Kopf bis Fuß. Ich bin auch ein Riesenfan von Klaus Florian. Er würde seiner Stimme niemals wehtun.

Brahms: Frühlingstrost op. 63/1

Julie Kaufmann, Donald Sulzen (Klavier). Orfeo 2016

Julie Kaufmann! Ich habe sie an ihrer Helligkeit und der astreinen Textaussprache erkannt. Sie hat bei uns Studentinnen viel Wert daraufgelegt, dass man jeden Konsonanten klar hört. Bei Julies Stimme sehe ich eine glitzernde, goldene Fläche vor mir. Es klingt nach Schumann oder Brahms. Dieses Lied habe ich noch nie gehört. Die Wahl so randständigen Repertoires ist typisch für Julie, sie hat immer weiß Gott woher Lieder ausgegraben und ihnen ein neues Leben gegeben. Das hat auch meinen Blick erweitert, wofür ich ihr bis heute dankbar bin.

Album Cover für Puccini: Il tabarro – O Luigi! Luigi!

Puccini: Il tabarro – O Luigi! Luigi!

Asmik Grigorian, Jonas Kaufmann (Luigi), Orchestra del Teatro Comunale di Bologna, Asher Fisher (Leitung). Sony 2024

Eine unglaubliche Frauenstimme. Eine Italienerin vielleicht? Es geht jedenfalls um große Gefühle. Ist der Tenor Jonas Kaufmann? – Wenn das von Puccini ist, kann ihm nur Asmik Grigorian zur Seite stehen. Sie singt einfach perfekt. Asmik ist ein Phänomen unserer Zeit. In ihr vereint sich alles: eine brillante Stimme, die keine Grenzen kennt, enormes schauspielerisches Talent und die einzigartige Fähigkeit, komplett in einer Figur aufzugehen. Ich habe sie als Salome in Hamburg gesehen. Da dachte man sich schon: „O Gott, hoffentlich komme ich hier lebendig raus.“ Das war heftig.

Hahn: Paysage triste

Christiane Karg, Gerold Huber (Klavier). BR Klassik 2022

Das ist Christiane Karg. Ein französischer Komponist. Fauré oder Debussy? – Oh, Reynaldo Hahn, dieses Lied von ihm kenne ich nicht. Bei Christianes Stimme sehe ich immer dunklen, grünen Samt vor mir. Ich habe sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes live als Strauss’ Daphne gehört. Sie singt in dieser Oper fast durchgehend, noch dazu so viele unglaublich komplizierte Melodien. Das ist eine der schwersten Rollen des Repertoires, doch bei ihr klingt alles leicht und liedhaft. Sie schafft es, in jeder Lage alles so zu verbinden wie eine Kette. Ich bewundere, dass sie immer auf höchstem Niveau vorbereitet ist.

R. Strauss: Arabella – Aber Richtige, wenn’s einen gibt für mich

Lisa della Casa, Wiener Philharmoniker, Georg Solti (Leitung). Decca 1958

Eine sehr alte Aufnahme von Strauss’ „Arabella“. Das ist aber nicht Lisa della Casa, oder? O nein, dabei ist sie mein absolutes Vorbild. Ich finde es bewundernswert, wie sie heute hier und morgen dort alles gesungen hat, allein zweihundertmal die Arabella. Heute wird diese Oper ja kaum noch gespielt. Ich glaube, weil sie so eine wunderschöne, gut gebaute, zierliche Frau aus gut situiertem Hause war und diese wunderbare Stimme hatte, fand sie mit ihrem ganzen Wesen den idealen Zugang zu dieser Rolle. Arabella ist die Partie, mit der ich eines Tages meinen Bühnenabschied nehmen möchte.

Fauré: Requiem – Pie Jesu

Sandrine Piau, Orchestre National de France, Laurence Equilbey (Leitung). Accentus 2008

Oh, das Fauré-Requiem! Eine französische Sängerin? Dann kann es nur Sandrine Piau sein. Ich kenne niemanden, dessen Stimme so unschuldig und rein ist. Sie kann gerade Töne wie ein Knabe singen. Das passt wunderbar zu diesem Stück, das ganz einfach klingt, aber wahnsinnig schwierig ist, weil man das Engelhafte bewahren muss. Schon ein leichtes Vibrato würde die Ruhe stören. Sandrine behält auch noch in der Tiefe diesen kindlichen Strahl. Wow! Das war ein sehr schöner Abschluss.

Aktuelles Album:

Album Cover für Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45

Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45

Katharina Konradi, Konstantin Krimmel (Bariton), Gaechinger Cantorey, Luxembourg Philharmonic, Hans-Christoph Rademann (Leitung). Accentus
VÖ: 17.10.2025

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