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Blind gehört Anna Prohaska

„Das klingt wie guter Rotwein“

Die Sopranistin Anna Prohaska hört CDs von Kolleginnen, ohne dass sie erfährt, wer singt

vonJakob Buhre,

Bevor es losgeht, holt sich Anna Prohaska erstmal einen heißen Tee mit Zitrone, in der Kantine des Schiller Theaters, dem Ausweichquartier der Berliner Staatsoper. „Schön, Sie wieder bei uns zu haben“, wird sie vom Kantinenchef freundlich begrüßt, gerade haben die Proben für den Rosenkavalier mit Sir Simon Rattle begonnen, im Februar wird Staatsopernchef Daniel Barenboim sie bei einer Lied-Matinee am Klavier begleiten. In Hamburg ist sie im Januar ebenso mit Liedern zu hören. Auf das „Blind gehört“ sei sie schon sehr gespannt, sagt die in Berlin lebende Sopranistin. Sie habe bereits mehrere Folgen gelesen und freut sich, nun selbst an der Reihe zu sein. Als sie dann beim Vorspielen die erste Interpretin erkennt, freut sie sich wie die Kandidatin einer Quizshow. 

Mozart: „Giunse alfin il momento –

Deh vieni, non tardar, o gioia bella“

aus „Le nozze di Figaro“

Magdalena Kožená (Sopran), OAE,

Sir Simon Rattle (Leitung) 2006. DG

Aha, das ist schon mal die Susanna… Ah ja, ich glaube ich weiß es. Aber ich höre noch ein bisschen zu…. Ich bin mir sehr sicher, dass es Magdalena Kožená ist. Ich erkenne einfach ihr Timbre. Das Tolle an ihrer Stimme ist: Sie kann als Mezzosopran natürlich die ganzen Mezzo-Rollen wunderbar singen, aber eben auch etwas eher Sopraniges wie die Susanna, was Mezzi eher selten singen. Was man hier hört, was ich auch an ihr liebe, ist, dass sie so eine Kontrolle über das Vibrato hat. Manche Töne singt sie sehr gerade und dann lässt sie manche Töne schwingen, genauso wie man das von der historischen Aufführungspraxis her kennt und eigentlich auch gelernt haben sollte; dass das Vibrato nicht so ein Dauerwabern ist, sondern dass man es eher als Stilmittel, als Farbe benutzt. Als ich die Susanna einstudierte, habe ich oft eine alte Erich Kleiber-Aufnahme gehört, da singt Hilde Güden die Partie. Die kennt man heute nicht mehr so, sie ist nicht so berühmt wie die Callas, aber sie hat einen ganz emotionalen Klang in der Stimme. Das ist für mich sehr wichtig, wenn man als Sänger einen Ton singt, dass das gleich eine emotionale Reaktion im Publikum auslöst: wohlig oder Angst, was auch immer. Und Magdalena singt immer mit höchster emotionaler Ladung. Leider gibt es heute viel zu viele Sänger, die technisch total perfekt sind, auch die Koloraturen super singen und bei denen es trotzdem stinklangweilig klingt.

Mozart: „Venite, inginocchiatevi“ aus

„Le nozze di Figaro“

Lucia Popp (Sopran),

London Philharmonic Orchestra,

Sir Georg Solti (Leitung) 1963.

Decca

Das könnte jemand Russisches sein von der Aussprache her, und die Aufnahme wahrscheinlich 70er oder 60er. Ich arbeite ja generell mit sehr alten Aufnahmen. Das ist glaube ich so ein Einfluss von meinem Vater, der denkt, dass jede Platte, die ein bisschen verrauscht klingt, toll sein muss, weil das die alten Sänger sind. Genauso wie manche Leute nur alte Hollywood-Filme gucken und die neuen Schauspieler alle blöd finden. Die Aussprache ist sehr russisch. Oder bulgarisch? Stimmt zumindest die Richtung? Ist das so jemand wie Lucia Popp? Echt? Wow! Das war eine wunderbare Sängerin. Sie war Slowakin und hat ihren Namen dann geändert wie viele slawische Sänger auch, also von „Poppová“ zu „Popp“. Vielleicht sollte ich mich auch „Proha“ nennen? (lacht) Sie hat mit leichtem Koloratur-Repertoire angefangen und sich dann in eine Richtung bewegt wie Rusalka, was ja eher für eine lyrisch-dramatische Stimme geschrieben ist. Vielleicht schlummert in mir so eine Hoffnung, dass es sich dort auch mal hinentwickelt. So eine Richtung fänd ich schon toll, also eher in das lyrische als in das Extrem-Koloratur-Fach wie die Königin der Nacht. Aber man weiß es nie. Ich gehe dahin, wo meine Stimme mich hinführt.

Händel: „Lascia ch‘io pianga“

aus „Rinaldo“ 

Simone Kermes (Sopran),

La Magnifica Comunità,

Isabella Longo (Leitung)

2012. Sony Classical

Da habe ich schon eine Vermutung. Aber es ist für die Sängerin nicht unbedingt die typische Arie, weil sie das alles sehr piano singt, leise, so gehaucht. Könnte ich ein anderes Stück von der CD hören? Ein langsameres vielleicht?

Pergolesi: „Sul mio cor“

aus „Adriano in Siria“ 

Simone Kermes (Sopran),

La Magnifica Comunità,

Isabella Longo (Leitung)

2012. Sony Classical

Ach, also jetzt denke ich, das könnte Simone Kermes sein. Ich hatte eigentlich auf Cecilia Bartoli getippt, aber dann habe ich gemerkt, das ist nicht mezzo-artig genug in der Tiefe. Sie macht diesen leicht verhangenen Klang, was eigentlich sehr schön ist, ganz zart, angetupft, aber ein bisschen so, als wenn ein Schleier über der Stimme liegt. Ich selbst bin eher ein Fetischist in die Richtung, dass ich versuche, ganz klare Klänge zu produzieren. Ich ärgere mich auch über CD-Aufnahmen, wenn mir die zu hauchig sind. Aber manchmal finde ich das Hauchige gerade gut, wenn man es absichtlich macht und nicht ein ständiger Film auf der Stimme ist. Simone Kermes kann das ja total variieren. Dass sie manchmal die Töne leicht anschleift, das ist auch sehr typisch für sie. Ich kenne ihre Aufnahme von Dido und Aeneas mit Teodor Currentzis, die fantastisch ist. Und natürlich bestimmte TV-Auftritte, wo sie zum Beispiel Glitter and be gay von Bernstein singt. Ich mag sie auch sehr gerne in Interviews, sie ist schon exzentrisch, aber auch sehr cool. Und sie hat, wie viele Musiker aus dem Osten, eine gewisse Genre-Toleranz. Sie singt zum Beispiel Brecht/Weill-Balladen, sie mag auch gerne Heavy Metal, so wie ich.

Pergolesi: „Vidit suum dulcem natum“ aus „Stabat Mater“

Anna Netrebko (Sopran),

Orchestra dell‘Accademia Nazionale di Santa Cecilia,

Antonio Pappano (Leitung) 2011. DG

(nach vier Sekunden, lächelnd) Ja, das erkenne ich natürlich. Aber lassen Sie uns das noch ein bisschen anhören. Ich liebe Anna Netrebko. Und ich hasse Journalisten, die bei ihr immer das Haar in der Suppe finden wollen. Es gibt schließlich so viel, was sie besser kann als andere Sopranistinnen. Sie hat immer noch so eine unglaublich leichte Höhe behalten, obwohl sie in der Tiefe total ausgebaut hat, in die dramatische Verdi-Richtung. Sie singt ja jetzt Partien wie Leonora, sie wird sicherlich bald Desdemona machen, und mit Thielemann bald die Elsa, was toll ist. Sie kann aber auch immer noch da oben rumpfeifen, in Iolanta zum Beispiel, da muss man oben im Pianissimo singen, das zeugt bei ihr einfach von einer bombensicheren Technik. Ihre Stimme erkenne ich sofort. Wir haben auch zusammengearbeitet, wenn man jemand bei jeder Probe hört, dann prägt sich das natürlich ein. Sie ist außerdem die Sopranistin meiner Generation, diejenige, die am meisten präsent ist. Und sie hat eine Stimme, die einem im Ohr liegt, dieses leicht gedeckelte, saftige, nussige Timbre. Es ist jetzt nicht Champagner, sondern eher wie ein guter Rotwein. Sie hat auch eine gewisse Wildheit in der Höhe, wenn sie oben aufmacht, wird ihr Vibrato ganz intensiv, da kriege ich Gänsehaut.

Bach: „Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss“

aus „Matthäuspassion“

Peter Schreier (Tenor),

Gewandhausorchester Leipzig,

Rudolf Mauersberger (Leitung) 1970.

Berlin Classics

(Singt mehrere Takte mit) Matthäuspassion, ja, fantastisch. Und den Evangelisten zu singen ist so schwer. Die Stimme kenne ich. Ist das Peter Schreier? Der ist toll! Ich habe ihn aber leider nie live gehört. Evangelist ist natürlich so eine Partie… also, wenn man die Matthäuspassion aufführt, dann muss man für den Evangelisten auch wirklich das Geld ausgeben, das kann nicht irgendjemand machen. Du musst den Text emotional rüberbringen, du musst die Höhe haben – das können nicht so viele. Aber es ist natürlich auch die totale Absahn-Partie, weil du den ganzen Abend dran bist. Peter Schreier hat sicher ein großes Vorbild gesetzt und das Niveau hochgeschraubt. Er war ja ein totaler Belcanto-Sänger, er hat sein schönes Timbre mit Textverständlichkeit und emotionalen Gehalt kombinieren können. Es gibt auf Youtube übrigens eine Aufnahme von ihm als Knabenalt. Trotzdem erkennt man die Stimme an seinem Timbre. Er ist halt nur etwas tiefer gerutscht, vom Alt zum Tenor ist es ja kein so weiter Weg.

 


Bizet/Rossini/Offenbach: Yodelling Overtures 

Mary Schneider (Gesang),

Sydney International Orchestra,

Tommy Tycho (Leitung) 1999.

Koch Classics

 

 

Ach, Jodeln? Das muss ich jetzt aber nicht erkennen, oder? Mir fällt dazu meine letzte Opernpremiere in München ein, die Oper Babylon. Das war eine Uraufführung und mit dem Komponisten Jörg Widmann habe ich mich mehrmals zusammengesetzt. Einmal hat er mir alle möglichen Stimmarten abverlangt, da habe ich ihm dann auch etwas vorgejodelt, weil ich privat auch ab und zu mal rumjodele, unter der Dusche zum Beispiel. Aber nicht wie in diesem Opernmedley hier, ich denke da eher an Popsongs wie Zombie von den Cranberries, wo die Stimme der Sängern auch so umschlägt. Der Jörg Widmann meinte dann zu mir „wunderbar“ und hat mir ein Jodel-Lamento geschrieben, ein Jodel-Schlaflied, das ich in der Aufführung singe. So ein Opernmedley, da kann ich mir vorstellen, dass das mal jemand als Zugabe singt. Wenn es wirklich gut gemacht ist, finde ich das auch in Ordnung, und das hier klingt auf jeden Fall professionell. Wobei ich nicht weiß, ob ich mir jetzt die ganze CD anhören würde.

 

 

 

 

 

 

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