Gleich in allen fünf Sparten nimmt das Theater Kiel im Rahmen des schleswig-holsteinischen Modellprojekts den Spielbetrieb wieder auf. Wie fühlt sich das nach der langen kulturellen Durststrecke an?
Daniel Karasek: Emotion pur! Nach so einer langen Pause ist es unbeschreiblich zu sehen, was bei den Zuschauern und bei den Künstlern auf der Bühne passiert. Das hat man so noch nicht erlebt.
Das Theater Kiel musste sich für das Modellprojekt bewerben. Wie genau verlief dieser Bewerbungsprozess und welche Bedingungen mussten erfüllt werden?
Karasek: Das war relativ unkompliziert, weil wir im Herbst vor dem zweiten Lockdown im Prinzip ja schon die ersten Erfahrungen gemacht hatten, beispielsweise mit unterschiedlichen Sitzanordnungen. Logistisch sind bei uns somit nur die Testungen dazugekommen.
Roland Schneider: Es gibt dazu bestimmte formale Anforderungen an das Projekt, deren Erfüllung wir nachweisen mussten. Sitzpläne mit Abstand, personalisierte Tickets und ein tagesaktueller negativer Test für jeden Besucher sind obligatorisch. Darüber hinaus wird das Projekt von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel begleitet. In diesem Zusammenhang werden Daten erhoben und einer wissenschaftlichen Auswertung unterzogen. Dafür sind Abläufe mit entsprechenden Datenschutzerklärungen sicherzustellen. Das setzen wir alles sehr genau um. Unsere Kolleginnen und Kollegen im Haus testen wir ohnehin schon seit März, was uns organisatorisch nun zugutekommt.
Wie gestalteten sich die Proben? Wie sind die Rahmenbedingungen für die Künstler, Musiker, Ensemblemitglieder und Schauspieler?
Karasek: Ab Mitte Februar wurden die Rufe der Künstler und Ensembles lauter, wieder arbeiten zu wollen, auch um körperlich fit zu bleiben. Das ist ja nicht nur bei den Balletttänzern so, auch wenn andere Künstler nicht genuin körperlich in Beschlag genommen werden. Es geht ums Training, ums Üben, aber auch darum, Ängste abzubauen. Insofern sind wir seit Mitte Februar, nach der Schließung im zweiten Lockdown, wieder aktiv. Womit wir allerdings nicht gerechnet hatten, ist ein größerer Wasserschaden, der unsere Werkstätten vorübergehend vollkommen lahmgelegt hat. Hätten wir Vollbetrieb gehabt, hätten wir gar nicht richtig spielen können. Deswegen haben wir für das Modellprojekt in der Oper auch eine neue konzertante Produktion entwickelt. Das Schauspiel hingegen war weniger betroffen.
Mussten die Produktionen, den Wasserschaden mal außenvorgelassen, nochmals angepasst werden für das Modellprojekt?
Karasek: Schon, allerdings üben wir das auch schon seit Beginn der Spielzeit. Für die Oper ist das ganz vehement. Da verschiebt sich alles in einer doch recht ungewöhnlichen Weise. Das Orchester rückt beispielsweise plötzlich nach hinten auf der Bühne, was dann Folgen für die Beleuchtung hat. Wer kommt schon darauf, dass das Orchester nicht mehr im Orchestergraben sitzt! Da hatten wir doch einiges zu tun. Gleiches gilt auch bei der Justierung der Abstandsregeln unter den Sängern beziehungsweise nach hinten zum Orchester. Als nächstes versuchen wir es mit einem kleinen Chor.
Schneider: In dem Zusammenhang muss man auch erwähnen, dass verschiedene Investitionen erforderlich wurden. Solange wir den Orchestergraben nie von oben beleuchten mussten, war an der Stelle bisher keine Beleuchtungstechnik erforderlich. Da wir nun auf dem geschlossenen Orchestergraben spielen, mussten wir hier nachrüsten. Hinzu kommt, dass wir Scheinwerfer kaufen mussten, die besonders leise sind, weil sie nun im Zuschauerraum an einer Stelle hängen, an der herkömmliche Scheinwerfer hörbar wären.
Was kommt auf die Zuschauer zu, die Veranstaltungen im Rahmen des Modellprojektes besuchen möchten?
Karasek: Im Herbst waren die Regelungen eigentlich noch relativ luxuriös, weil da nur die Maske vorgesehen war und das Abstandsgebot im Zuschauerraum galt. Jetzt merkt man schon, dass die Zuschauer mit der Testung und dem Ausfüllen der Formulare wirklich was zu leisten haben. Deshalb beginnen wir nun schon um 19 Uhr und nicht um 20 Uhr. Natürlich merken wir, dass die Zuschauer leider mehrfach überlegen, ob sie sich den Aufwand antun. Viele wollen erst dann wieder kommen, wenn es wieder leichter ist. Dazu spielen auch die Inzidenzzahlen eine große Rolle, die letzte Woche schon einmal knapp vor 100 standen. Nichtdestotrotz spüren wir auch die Begeisterung und den Zuspruch vieler Zuschauer. Es ist jetzt nicht so, dass wir Schlangen vor der Tür hätten, aber der Zuspruch ist groß.
Schneider: Natürlich versuchen wir es den Zuschauern so leicht wie möglich zu machen. Wir haben zum Beispiel ein festes Testzentrum bei uns im Opernhaus direkt neben dem Haupteingang installiert, so dass auch Besucher, die es tagsüber vielleicht nicht geschafft haben einen Schnelltest zu machen, vor der Vorstellung noch die Möglichkeit dazu bekommen. Insgesamt muss man sagen, dass das Publikum bei allen Maßnahmen sehr diszipliniert und verständnisvoll ist.
Wer finanziert die Testungen für das Publikum im Rahmen des Modellprojekts?
Karasek: Die Tests für das Publikum werden über die öffentlichen Testzentren abgerechnet, die Tests für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finanzieren wir selbst.
Also ein finanzieller Mehraufwand bei weniger Sitzplatzauslastung und weniger Einnahmen.
Karasek: Ja, definitiv.
Wie sieht das Modellprojekt generell unter dem finanziellen Aspekt aus? Rentiert sich ein Spielbetrieb unter den gegebenen Einschränkungen?
Schneider: Der Nutzen dieses Pilotprojekts lässt sich letztlich nicht in der Bilanz ablesen. Das muss man ganz klar so sagen. Das ist aber auch nicht das Ziel gewesen. Wir wollen aufzeigen, wie unter Corona-Bedingungen aktuell Kultur möglich ist. Und das beweisen wir gerade! Den Mehraufwand bei weniger Einnahmen haben wir unter Kontrolle. Das sind wirtschaftliche Aspekte, die wir berücksichtigen, die aber nicht im Vordergrund dieses Projekts stehen.
Dennoch: Ist es unter diesen Umständen für Kulturinstitutionen überhaupt attraktiv, an derartigen Modellprojekten teilzunehmen?
Karasek: Man muss sagen, dass wir hier im Moment ein absolutes Privileg haben. In der letzten Woche waren wir die Einzigen in der Bundesrepublik, die überhaupt gespielt haben, weil Saarbrücken und Tübingen aufhören mussten. Ich glaube schon, dass die Teilnahme Sinn ergibt, weil es verdeutlicht, dass wir auch unter widrigen Umständen in der Lage sind zu spielen und für das Publikum da zu sein. Wir müssen Bereitschaft und Beweglichkeit signalisieren und zudem aufzeigen, dass wir für alle Situationen passende Formate anbieten können.
Schneider: Man muss sich dabei auch fragen, was denn die Alternative wäre. Sollen wir etwa nicht teilnehmen und das Haus weiter geschlossen halten? Es ist doch unsere Aufgabe zu spielen. Und wenn wir die Möglichkeit geboten bekommen Theater zu spielen, dann kommt kein Theatermacher der Welt auf die Idee zu sagen: Nein, da machen wir jetzt mal nicht mit.
Karasek: Und man darf auch die Notwendigkeit seitens der Künstler nicht außen vor lassen. Für sie ist es ein wirklich wichtiger Schritt. Es ist ganz interessant, dass wir noch vor dem letzten Lockdown die Zuschauerräume als leer empfunden haben. Und nun ist es ganz frappierend, dass die Künstler auf der Bühne das wenige Publikum als unglaublich wertvoll wahrnehmen. Alleine dafür ist dieses Projekt Gold wert.
Glauben Sie, dass das Projekt ausgeweitet wird?
Karasek: Wir hoffen natürlich, dass die jetzigen Bedingungen im positiven Sinne erweiterbar sind. Dass wir vielleicht die Zuschauerzahlen durch die Impfungen, Tests und mögliche Sicherheitsvorkehrungen wieder erhöhen können. Wir hoffen sozusagen auf ein Pilotprojekt plus aufwärts! Dann hätte sich alles absolut gelohnt.
In welchem Fall müsste das Pilotprojekt abgebrochen werden?
Karasek: Bei einer Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Zurückkehren würden wir in diesem Fall nach einer Unterbrechung, wenn die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unter 100 liegt.
Versuchen Sie es mit einer kurzen Zwischenbilanz!
Karasek: Nach viel Stress, sehr viel Arbeit verbunden auch mit vielen Ängsten bin ich glücklich, mich darin bestätigt zu sehen, dass Theater gebraucht wird. Die Pandemie hat vielleicht in anderen Branchen ein neues Zeitalter eingeläutet, bei uns allerdings nicht! Wir sind keinesfalls unwichtiger geworden. Im Gegenteil: Die Art, wie wir sozial verbinden und das Publikum anregen, ist wirklich wichtig für die Leute.
Schneider: Das Projekt ist mit einem deutlich erhöhten Aufwand für alle Beteiligten verbunden. Aber auf der anderen Seite lässt sich auch ganz klar feststellen, dass man derzeit sicher ins Theater, ins Konzert oder in die Oper gehen kann.